"Theaterspielen ist unbequem"

Die zweite Produktion der Antikenfestspiele, das Schauspiel "Ödipus", bringt ab morgen die Begegnung mit zwei spannenden Gästen: Als Ödipus und seine Mutter/Ehefrau Iokaste spielen Michael Marwitz und Johanna Liebeneiner.

Trier. Michael Marwitz tänzelt wie ein Rennpferd vor dem Start. Immer wieder springt er von einem Bein aufs andere, dehnt seine Muskulatur und macht, wenn es ihm zu lange dauert, schon mal einen Handstand. Der Mann steht unter Hochspannung bis in die Haarspitzen. Dabei ist es am frühen Samstagmorgen nur eine von endlos vielen Proben, und nicht einmal eine besonders wichtige. Aber er spielt Ödipus. Und dieser Mensch, sagt Marwitz, "steht doch unter ungeheurem Druck". Er ist Alleinherrscher, sein Land ersäuft in der Pest, und nur er hat den Schlüssel zur Rettung - und ahnt es zunächst nicht. Als er merkt, dass es seine Tat ist, die das Unglück heraufbeschworen hat, straft er sich schlimmer, als er es mit jedem anderen getan hätte. "Er ist einfach konsequent", sagt Marwitz, "egal, ob er Schuld auf sich geladen hat oder nicht." Das klingt bewundernd. In heutigen Zeiten frage man "immer nur danach, wer schuld ist. Und wohin hat uns das gebracht?"Michael Marwitz stellt gerne rhetorische Fragen. Meistens beantwortet er sie auch selbst. "Ich rede ohne Pause, Sie müssen mich einfach unterbrechen", sagt er beim Interview-Frühstück im Hotel. Er braucht 30 Minuten für das erste halbe Brötchen. Der Mann läuft über von Gedanken und Ideen, bisweilen sprudelt die Philosophie geradezu aus ihm heraus. Man fragt sich unwillkürlich, ob er in der Kantine der "Lindenstraße", wo er sieben Jahre eine Hauptrolle spielte, die passenden Gesprächspartner für seine Gedankengebäude gefunden hat. Aber wahrscheinlich wird dort auf höherem Niveau über Gott und die Welt philosophiert als in der Betriebs-Cafeteria manches Metropolen-Theaters.Apropos Theater: Damit kennt sich der Spross einer Schauspieler-Familie von klein auf aus. Dabei hat er mal Geige studiert, bevor er sich auf das schwierige Bühnen-Metier festlegte. "Theaterspielen ist unbequem", zitiert er einen alten Regisseur - und der 51-Jährige meint es auch so. Da rennt einer, schafft und kämpft um seine Figur, quält sich wie ein Marathonläufer, selbst wenn ihn eine Woche vor der Premiere eine Kehlkopfentzündung plagt."Wehleidigkeit geht mir auf die Nerven"

"Der ist ein Steher", kommentiert Regisseur Horst Ruprecht, für seine Verhältnisse schon fast bewundernd. "Wehleidigkeit geht mir auf die Nerven", erzählt Marwitz. Wozu auch, wenn man ein Stück spielen darf, bei dem "jeder zweite Satz aus meinem eigenen Leben sein könnte". Und wenn einem die Leute zuhören. Schließlich sei "Mitteilungsdrang die Triebfeder jedes Schauspielers".Bei Johanna Liebeneiner käme man nicht so schnell auf diesen Eindruck. Ein Interview mit ihr wird sofort zum Gespräch, weil sie mindestens ebenso viele Fragen stellt, wie sie beantwortet. Eine Frau, die mit ungeheurer Intensität Eindrücke sammelt. Keine Ausstellung in Trier, keine Theater-Produktion, die sie in den Proben-Monaten nicht gesehen hat, natürlich kennt sie auch die Tufa und wahrscheinlich alle Buchhandlungen. Sie schwärmt vom "süßen Geruch" der Stadt, wohnt nicht im Hotel, sondern im Grünen, mit Familienanschluss. Gartenarbeit inklusive. Und wahrscheinlich viele politische Diskussionen.Denn da taut die gebürtige Österreicherin, der man ihre 62 Jahre nicht einmal annähernd ansieht, so richtig auf. Bush und Merkel, der neueste "Spiegel"-Titel, Mindestlohn und Weltwirtschaftsgipfel: "Ich mische mich gerne ein", sagt Johanna Liebeneiner und denkt laut darüber nach, ob sie nicht "Attac" beitreten solle.Die ausgeprägte politische Sozialisation hat nicht nur mit dem Aufwachsen in den wilden Sechzigern zu tun, sondern auch mit der Familien-Biografie. Ihr Vater Wolfgang Liebeneiner war einer der bedeutensten deutschen Regisseure, ihre Mutter Hilde Krahl eine legendäre Schauspielerin schon in UFA-Tagen. Beide gehörten zur ersten Garde der Filmschaffenden in der Nazi-Zeit - da gab es einiges aufzuarbeiten. Ein Thema, das bis heute nachwirkt, und dem sich Johanna Liebeneiner immer wieder stellt.Zu alledem will die Rolle der Iokaste nicht so recht passen. Kein Wunder, dass die Schauspielerin ihrem Rollen-Charakter, dieser "typischen Frauenfigur" durchaus kritisch gegenüber steht. "Die reagiert immer nur, die agiert nicht", sagt sie. Im Gegensatz zu Ödipus, "der ist ein Kämpfer, aber auch ein Mörder". Iokastes Drama spielt sich dagegen "im Inneren ab, ohne Worte". Genau das im riesigen Amphitheater rüberzubringen, das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, an der sie intensiv arbeitet. Wenn auch äußerlich weit ruhiger als Ödipus.Premiere am Samstag, 30. Juni, 21 Uhr, dann am 6., 7. und 13. Juli. Karten: 0651/7181818. Info: www.dont-kill-daddy.de

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