Tiefe Sehnsucht und der schale Beigeschmack des Sieges

Trier · Das 8. Sinfoniekonzert des Theaters Trier bewegt mit Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert und Schostakowitsch.

Trier Was machen Heimweh und Sehnsucht aus uns? Wer Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert D-Dur op. 35 hört, kommt um die existenzielle Frage nicht herum. Im Exil der neuen Welt Amerika und voller Sehnsucht nach Europa schrieb der österreichische Komponist sein bewegendes Werk. Tatsächlich ist ganz viel Wiener Klang in dieser spätromantischen Komposition. Eigentlich ist das Violinkonzert ein Konzert der Selbstzitate, soll heißen eine Komposition voller Versatzstücke aus Filmmusiken Korngolds, weshalb sie vielerorts jahrelang als Hollywood-Kitsch abgetan wurde. Längst haben Stargeiger das Konzert als völlig unterschätzt wiederentdeckt.
Einmal mehr zeigte das 8. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Trier, wie viel zu kurz gedacht und gehört solche Vorurteile waren. Nicht zuletzt ist die musikalische Rehabilitation der wunderbaren Geigerin Ye-Eun Choi zu verdanken, die mit dem Orchester das Violinkonzert nicht nur als herrlich klangsinnliche, in sich schlüssige Komposition präsentierte, sondern es auch als Seelendrama erfahrbar machte. Fein deuteten die Musiker das bittere Lachen des Exils aus, die Wut, die Getriebenheit und die unendliche Sehnsucht, die sich in Korngolds Musik veräußern.
Die junge Koreanerin mit ihrem reinen, schlanken Strich machte gleich in der schönen Eingangskantilene die Sehnsucht dringlich und den Schmerz schneidend. Ye-Eun Choi spielte mit Schmelz, ohne jemals schmalzig zu werden. Bravourös meisterte die Geigerin die musikalischen Fallstricke des hochvirtuosen Werks, dehnte die Spannung bis zum Zerreißen, war Getriebene und Antreiberin im Dialog mit dem Orchester. Tief aus dem Innern kam ihr Spiel. Selbst in den furiosesten Momenten behielt es seine innere Kraft und verfiel nie reiner musikalischer Artistik. Denkwürdig war auch das zweite große Projekt dieses Abends, Dimitri Schostakowitschs Sinfonie Nr.12 d-Moll op.112 mit dem Beinamen "Das Jahr 1917 ". Legenden ranken sich um die Sinfonie und der Beigeschmack der Indienstnahme als sowjetische Propaganda. 1917 war bekanntlich das Jahr der von Lenin angeführten Oktoberrevolution, ein wunderbar auszuschlachtender Hinweis für die Propagandaexperten der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Eindeutig ist die Bedeutung des Zusatzes jedenfalls nicht, und wie das Trierer Konzert eindrücklich vermittelte, auch keineswegs zwingend.
Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl ließen die Musiker ein gewaltiges, aber keinesfalls naiv triumphales Klanggemälde entstehen, das den schalen Triumph des siegreichen Blutvergießens, den Aufruhr und das Chaos musikalisch viel überzeugender zum Klingen brachte als triumphaler Siegesrausch. Großartig die Pauken, der Dialog zwischen Streichern und Bläsern, die zuweilen das nachdenkliche Spiel der Geigen geradezu hinwegbliesen. Puhl dirigierte bedachtsam, strukturiert, legte die musikalischen Zusammenhänge frei, ohne das Ganze aus dem Auge zu verlieren. So als ob er selbst eine tiefe Skepsis gegen alles allzu Heroische hegte. Ein eindrucksvoller Abend, der mit Klang pur sprich Peteris Vasks "Cantabile für Streichorchester" begonnen hatte. Die 600 Zuhörer bedankten sich mit stürmischem Applaus.

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