Totentanz mit Kafka

TRIER. Es zieht ihn immer wieder nach Trier zurück: Jens Förster, Psychologie-Professor in Bremen, Sänger, Autor, Lieferant unvergessener Theater- und Chanson-Abende in der Tuchfabrik, feierte die Uraufführung seines neuesten Programms "Paarhufer sind niemals allein" in der Trierer Tufa.

Vielleicht liegt es daran, dass die "Zeit" und der "Stern" inzwischen den Reiz der Förster'schen Doppelbegabung entdeckt und die rare Kombination renommierter Wissenschaftler/exaltierter Künstler in ihren Feuilletons thematisiert haben: Jedenfalls stand das Trierer Publikum Schlange, und die Zahl derer, die unverrichteter Dinge nach Hause gehen mussten, hätte komfortabel ausgereicht, um eine zweite Vorstellung im kleinen Saal zu füllen. Wer gekommen war, um eine Neuauflage des letzten Chanson-Abends "Phönixfedern" zu erleben, dürfte überrascht gewesen sein. "Paarhufer" knüpft eher an die autobiographische Revue "Niemandsrose" an, eine Mixtur aus Szenen, Fantasien, Rollenspielen und sorgfältig eingepassten Liedern.Ein Alpha-Wolf des Bildungsbürgertums

Der Psychologie-Professor Jens Förster spielt den Psychologie-Professor Anders Köster, den ein angekündigter Tsunami in seinem Hotelzimmer in New York festhält. Die Stadt bereitet sich auf ihren Untergang vor, es bleiben nur noch wenige Stunden zum (Über-) Leben. In allen hundert Fernsehsendern laufen Tierdokumentationen über Paarhufer, ausgerechnet "die langweiligste Sorte Tiere seit Erfindung der Zelle", wie Köster schimpft. In der klaustrophobischen Situation versucht er verzweifelt, seine schwulen Freunde und diversen Lebensgefährten via Handy zu erreichen - aber er bleibt allein mit dem monströsen Wissen um seinen baldigen Tod. Förster nutzt den beklemmenden Ausnahmezustand für eine fulminante Mischung aus Untergangsszenarien, kafkaesken Fantasien und Selbstbespiegelungen. Das kommt zwar anfangs herrlich ironisch über die Bühne, atmet aber insgesamt einen fast bitteren Ernst. Was mit einer pointenreichen Studie eines zwanghaft putzsüchtigen, von Ängsten um die eigene Bedeutung geplagten "Alpha-Wolfs des Bildungsbürgertums" (Förster) beginnt, wandelt sich in einen unaufhaltsamen Totentanz. Noch nie ist Förster in seiner musikalischen Illustration so weit gegangen. Nicht wegen der verdienstvollen musikalischen Neuentdeckungen wie dem Argentinier Kevin Johansen (seine CD "Sur o no sur" ist unbedingt empfehlenswert). Auch Alban Berg und Dimitri Schostakowitsch mit Patti Smith und Jaques Brel zu kontrastieren, würden wohl noch andere riskieren. Aber "When I am laid in earth", Henry Purcells traurigste aller musikalischen Todesklagen, neben eine alles Martialischen entkleidete Version von Rammsteins "Engel" zu platzieren ist unerhört. Fast so unfassbar wie die Unterlegung von Allen Ginsbergs atemlos-schwülem Masochisten-Gebet "Yes Master" mit Beethovens "Für Elise". Ein magischer Moment, einer von mehreren an diesem Abend.Kein Augenzwinkern, nur Sarkasmus

Förster riskiert viel, irritiert auch manchen. Man wartet auf das schelmische Augenzwinkern, aber mehr als Sarkasmus ist nicht drin angesichts einer Welt, die von Katastrophen, Terror und der Entwertung von Menschen geprägt ist. Selbst die Paarhufer im Hotel-Fernseher haben die Idylle längst gegen den Kampf getauscht. "Survival of the fittest" eben, wie Förster/Köster zynisch anmerkt. Am Ende liegt er in Martin Dückers düster-eindrucksvollem Licht zusammengekauert vor der Couch des demolierten Hotelzimmers und wartet auf die tödlichen Fluten. Aber irgendwie hat Jens Förster es dann doch nicht fertig gebracht, sein Stück so trostlos enden zu lassen. Fast trotzig hängt er ein Happy End an, mit Astor Piazollas "Rinascero", einer visionären Hymne auf die Wiedergeburt. Da streckt er zum Finale die Stimme noch mal an den oberen Rand ihrer Möglichkeiten, Stefan Scheib kratzt die ganze Sprödigkeit des Kontrabasses heraus, und Hans-Jörg Neuner, sonst ein unauffällig-effektiver Dienstleister am Klavier, schwelgt in Klängen. Weitere Vorstellungen am 16. und 17. September.

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