Träume und Schweiß

MERZIG. Wer ein tempogeladenes, exzellent choreografiertes, hochprofessionell aufgezogenes Musical sehen will, braucht weder ins Westend zu fahren noch auf einen der Lizenz-Klone in deutschen Premium-Musicalhäusern zurück zu greifen. Merzig macht's möglich.

 Von kalorienträchtigen Leckerbissen wie Wackelpudding darf nur träumen, wer auf der Bühne Erfolg haben will. Foto: Rolf Ruppenthal

Von kalorienträchtigen Leckerbissen wie Wackelpudding darf nur träumen, wer auf der Bühne Erfolg haben will. Foto: Rolf Ruppenthal

Es ist schon verrückt. Seit zwölf Jahren gibt es Opern im Merziger Zelt, aber noch nie stand da eine ganz konventionelle Guckkastenbühne. Ausgerechnet fürs moderne Musical greift Bühnenbildnerin Sabine Mann auf Opas Zieh-Vorhang samt Rechteck-Rahmen zurück. Aber was auf den ersten Blick langweilig erscheint, erweist sich im Laufe von zweieinhalb dahinrasenden Stunden als cleverer Kniff. Das Publikum sitzt mal vor, mal hinter der Bühne, ist "normaler" Zuschauer, dann neugieriger Backstage-Voyeur. Die Fläche liefert Platz für die packenden Massen-Szenen, der Vorhang und allerlei leicht handhabbare Requisiten schaffen Räume für Intimität. Atemberaubendes Tempo, simple Geschichte

Ein intelligentes Konzept, das die Voraussetzungen schafft für das atemberaubende Tempo, mit dem Regisseur Alex Balga und Choreografin Natalie Holtom ihre Show ablaufen lassen. Da ist, zumindest in der ersten Hälfte, keine Sekunde Leerlauf, keine Zeit zum Schnaufen - selbst die Fächer im schwülen Zelt flattern doppelt so schnell vor den geröteten Gesichtern wie sonst. Die Geschichte ist einfach, schnörkellos und plausibel erzählt. Es geht um zehn New Yorker High-School-Studenten, die zu Tänzern, Sängern oder Schauspielern ausgebildet werden. Der Proll aus der Bronx, die Ballerina aus gutem Hause, der Schwule, die Schüchterne, die Dicke, der Jude, die Burschikose und das Sensibelchen: Ein soziales Panoptikum trifft da aufeinander, zusammengehalten vom Wunsch, einmal im Leben den Weg zum Ruhm ("Fame") zu schaffen. Trotz ignoranter Lehrer, nerviger Vorschriften und einer Ausbildung, die das Bühnen-Dasein als "härtesten Job der Welt" erscheinen lässt. Träume, Schweiß - und natürlich jede Menge Beziehungs-Varianten. Diese Mixtur hat Ende der 70er- Jahre dem gleichnamigen Tanz-Film zum Welterfolg verholfen, eine Fernsehserie kreiert, mit dem Titelsong (von Irene Cara) einen Charts-Hit hervorgebracht und schließlich auch das Musical entstehen lassen, für das ein weitgehend neuer Soundtrack geschrieben wurde. Musikalisch kreativ zusammengeklaut, eingängig, massengeschmacks-kompatibel. Koen Schoots (man darf auf seinen "Freischütz" mit den Trierer Philharmonikern sehr gespannt sein) und seine zehnköpfige Band (mit Hausherr Joachim Arnold am Keyboard) spielen das höchst professionell, vorwärtstreibend, souverän. Und gottlob manchmal sogar mit ein paar Ecken und Kanten. Letztere sind Regisseur Alex Balgas Sache nicht. Er entwickelt schöne Bilder, einfache Chiffren, bisweilen auch atmosphärische Dichte. Wo es auf Augenzwinkern und Ironie ankäme, oder auf das Schärfen von Konflikten, bleibt "Fame" in Merzig glatt. Das stört vor allem im letzten Drittel, wo die All-American-Moral von der Geschicht' - Sei fleißig, anständig und angepasst, sonst holt dich der Teufel - aus jeder Pore des Stückes quillt. Zum Glück ist da eine vorzügliche Darsteller-Truppe, die über solcherlei Malessen hinweg spielt. Vor allem die Mädels (Linda Geider, Anouk Maas, Talita Angwarmasse) singen herzerwärmend gut, Andreas Wolfram verkörpert ein überzeugendes Getto-Kid, alle 22 Akteure formen eine perfekte Truppe, deren Qualität ebenso internationalen Maßstäben standhält wie die Kostüme von Markus Maas. Kein Wunder, dass das schweißgebadete Premieren-Publikum am Ende den Kollaps-Temperaturen zum Trotz diverse Zugaben erkämpfte. Für Musical-Fans ein Muss. Vorstellungen am 26., 28., 29. 30. Juli, 2., 3., 4., 5., 6. August. Tickets unter: 0681/992680.

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