Trauer soll Saarbrücken tragen

SAARBRÜCKEN. Eine laue Sommernacht – und trotzdem wollten bis zu 1000 Menschen dabei sein, wenn sich in St. Arnual zum letzten Mal der Schlüssel in der Theater-Tür dreht. Blick auf einen Abend ohne Tränendrüsen-Druck.

Mitunter hilft dem Saarbrücker Generalintendanten das Wünschen dann doch noch. Mit "Anstand und Würde" wollte er das Ende seiner kleinsten Staatstheater-Spielstätte St. Arnual begleitet wissen - und ein erstaunlich diszipliniertes und zugleich gelöstes Publikum, das sich im Hof der Scharnhorststraße 10 immer dichter drängte, erfüllte Kurt Josef Schildknecht diese Hoffnung. Was für ein erfreulicher Zuspruch nach den letzten eher ruhigen Wochen! Und was für eine Gemeinschaft versammelt sich: Wenig (Polit-)Prominenz, kaum pflichtschuldige Gesichte-Zeiger, einfach nur: die Fans dieses 99 Plätze fassenden guten Theater-Stübchens. Selbstverständlich auch viele Theatermitarbeiter. Viele Umarmungen in den Grüppchen. Bibi Jelinek und Martin Leutgeb müssen die letzte Vorstellung schultern ("Sechs Tanzstunden"); sie wird live in den Hof übertragen. Dort herrscht eine ruhige, konzentrierte Atmosphäre. Und Hunderte halten stundenlang aus bis zur "Gespensterstunde", wie sie Schauspieler Matthias Girbig in seiner Grabrede nennt. Es ist kurz vor Mitternacht: Die Menschen ziehen vors Gebäude, das eine Lichterkette aus Grabkerzen säumt, auf denen Namensschilder der Stifter kleben. Symbolische Beisetzung durch Girbig samt Blechbläserkapelle. Den ganzen Abend schon hatte Girbig die Urne St. Arnuals zärtlich im Arm gewiegt: Sie enthält alles an Protest- und Presse-Texten, die je zur Schließung verfasst wurden und einen Theater-Euro. Nun ruht sie im St. Arnualer Vorgarten - in Unfrieden. Denn "Trauer soll Saarbrücken tragen", so Girbig, bevor er die Urne in den Boden legt. Die Schließung bezeichnet er als einen "Akt menschlicher Unvernunft". Danach dreht Theatermeister Ralf Heid den Schlüssel zum letzten Mal im Schloss. Nie mehr wird sich die schwere Holztür für Theaterpublikum öffnen. Damit ist der wohl heikelste Moment des Abends absolviert: Wir spielen Trauergemeinde. Doch es herrscht nur nachdenkliche Stille. Überraschend mühelos findet sich überhaupt an diesem Abend die rechte "gefasste" Stimmung ein. Wer befürchtete, er müsse womöglich zusammen mit dem Ensemble einen Nostalgiedampfer besteigen, um das Meer der Tränen zu befahren, sah sich angenehm überrascht. Auch kein Kreuzfahrerschiff fuhr vor, beladen mit neuen Geschützen gegen die CDU-Landesregierung.Es ist aberwitzig, was hier geschieht

Natürlich nutzt der Generalintendant in einer kurzen Ansprache nach der Aufführung die Gelegenheit, um noch einmal zu betonen, er halte es für "aberwitzig", was in Saarbrücken passiere: Dass nicht etwa ein krankes, schlecht ausgelastetes Haus geschlossen werde, sondern "eine gut funktionierende Bühne". Die Darbietungen des Ensembles finden den rechten Mix aus kritischer Anspielung und Sentimentalität. Das "Leoniden-Quartett" samt erstem Kapellmeister Constantin Trinks schmettert beispielsweise "Lebewohl, gute Reise" in Comedian-Harmonist-Manier, Ballettchefin Marguerite Donlon gibt den grotesk zappelnden sterbenden Schwan, und die "Titanic Disaster Combo" schmalzt was von "Ultima Noche". Kecke, intelligente, unverkrampfte Kommentare, unter der Riesenplatane, mitten im Publikum wie Straßentheater dargeboten. Warum erlebte man das in St. Arnual nicht öfter? Hinterhof-Romantik, Freiluft-Kleinkunst? Bei dieser Frage ertappt man sich. Dieser Spielort war vielleicht noch reicher, als wir ihn in Erinnerung behalten. Vergeudetes Kultur-Potenzial.

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