Traurige Geschichte, große Musik

LUXEMBURG. "Musikalische Begegnung von Alter und Neuer Welt" – das Konzert von Jordi Savall in der Philharmonie begab sich auf wissenschaftlichungesichertes Terrain. Um dann musikalisch hellauf zu begeistern.

Hat die Begegnung mit der eroberten und unterdrückten Neuen Welt, hat die Kultur der südamerikanischen Territorien wirklich in der Musik Europas Spuren hinterlassen? Das Programmheft zum Konzert Jordi Savalls mit dem Instrumentalensemble "Hespèrion XXI" und den acht Sängerinnen und Sängern der "Capella Reial de Catalunya" in der Luxemburger Philharmonie behauptet es mit Nachdruck, bleibt aber im Detail vage. In der hohen Kunstmusik ist der südamerikanische Einfluss wohl kaum nachweisbar. Keiner der ganz großen spanischen Renaissance-Komponisten war denn auch im Konzert präsent - nicht Tomas Luis de Victoria, nicht Francisco Guerrero, Alonso Lobo oder Antonio de Cabezon. Allenfalls Gaspar Sanz, Pedro Guerrero, Juan Cabanilles, Juan de Castro oder Luis Milan repräsentierten etwas vom Glanz der Zeit. Die Interpreten begaben sich nicht auf die Höhen der klassischen Vokalpolyphonie, sondern auf die Ebenen der einfachen, der volksnahen Musik, der schlichten homophonen Vokal- und Instrumentalsätze aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Und wurden auf der Suche nach den musikalischen Spuren einer traurigen Eroberungsgeschichte überraschend fündig.Weit ausgreifende Bögen und "singende" Linien

Jordi Savall hat mit seinen Ensembles seit Jahrzehnten einen warmen, melodiösen, organischen Stil kultiviert. Immer noch musizieren die Instrumentalisten des "Hespèrion XXI" in großen, taktübergreifenden, weich abgefangenen Phrasen, scheuen den angeblich modernen Ausdruck und auch die "singenden" Züge der Renaissance-Instrumentalmusik nicht. Aber etwas ist dazugekommen, eine enorme rhythmische Prägnanz, ein scharf geschnittener tänzerischer Zug sogar bei den Sängerinnen und Sängern. Die Sopranistin Montserrat Figueras distanzierte sich bei aller Klangkultur von belcantistischem Einlerlei und verlieh den Solopartien eine Anschaulichkeit, einen Gestenreichtum, die mitreißen. Die Instrumentalisten und die Sänger entfalteten eine solch intensive Lebensfreude, eine solch vitale Rhythmik ohne alles Harte und Mechanische, dass die rund 1000 Besucher in helle Begeisterung ausbrachen und am Schluss sogar stehend applaudierten. Zwischen einfachen Kantilenen, die sich in erstaunlicher Nähe zum damaligen Kirchenlied der deutschen Protestanten befinden, und komplizierten, oft raffiniert engschrittigen Rhythmen spannt sich ein weiter Interpretations-Bogen. Und da lösen Jordi Savall, seine Sängerinnen und Sänger, seine Gambisten, Bläser, Cembalisten und Schlagzeuger ihre gewagte Vorgabe doch ein. Bei aller stilistischen Nähe zum italienischen Volksmusikstil dieser Zeit, bei allen Anklängen an die Lauda oder Frottola - diese Kompositionen sind anders: weniger komplex, weniger ambitioniert und, zumindest in Savalls Versionen, ungleich deutlicher dominiert vom Rhythmus. Auch wenn der wissenschaftliche Nachweis noch ausstehen mag: Wer angesichts dieser Stilistik indianische Einflüsse vermutet, greift wohl kaum zu weit.

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