Überraschende Wendung in der Theaterfrage: Trierer Industriegelände soll Zweitbühne und Kulturzentrum werden

Trier · Die Stadt hat die Planungen für den Neubau des Trierer Theaters gestoppt. Der künftige Intendant Karl Sibelius wünscht sich eine behutsame Sanierung des Altbaus. Zweitstandort soll das Walzwerk in Trier-Kürenz werden, für das sich Sibelius ein Kulturzentrum vorstellt.

 Ortstermin am Walzwerk: Veranstaltungstechniker Matthias Schmitt, Intendant Karl Sibelius und Peter Müller, technischer Leiter des Theaters (von links), besprechen das Potenzial für einen zweiten Theaterstandort. TV-Foto: C. Wolff

Ortstermin am Walzwerk: Veranstaltungstechniker Matthias Schmitt, Intendant Karl Sibelius und Peter Müller, technischer Leiter des Theaters (von links), besprechen das Potenzial für einen zweiten Theaterstandort. TV-Foto: C. Wolff

Foto: christiane wolff (woc) ("TV-Upload wolff"

Es war so gut wie entschieden, dass der dunkle Würfel des in die Jahre gekommenen Trierer Theaters aus dem Stadtbild verschwindet, um einem Neubau Platz zu machen. Doch dann stoppte der Stadtvorstand ebenso unerwartet wie plötzlich die Planungen für das mindestens 55 Millionen Euro teure Vorhaben und kündigte an, prüfen zu wollen, wie viel eine Sanierung des alten Hauses in Verbindung mit einem kleineren Zusatzbau kosten würde.
Wer dachte, der designierte Intendant Karl Sibelius wäre darüber enttäuscht, hat sich geirrt. Denn so, wie Sibelius die Sache schildert, ist das Umschwenken der Stadt nicht dem "Widerstand aus Bevölkerung und der Politik geschuldet", sondern Sibelius selbst.Tanz-Ikone begeistert vom Haus


Drei Ereignisse haben demnach seine Meinung über das Haus grundlegend geändert. Erstens: Als er eines Tages alleine auf der Bühne stand, um "das Haus zu fühlen", sei ein Mitarbeiter gekommen und habe ihn gefragt, ob er diese 20 Millionen Euro großartiger Bühnentechnik wirklich abreißen wolle. Zweitens: Seine Sorge, die berühmte Choreographin Susanne Linke könnte wieder abreisen, sobald sie das Haus sähe, erwies sich als unbegründet. "Karl, diese Bühne ist phantastisch", habe sie begeistert gesagt. Drittens: Sibelius hat eine unabhängige Architektin, die auf Theater spezialisiert ist, beauftragt, den Bau zu begutachten. Und diese sei zu dem Schluss gekommen, dass das Haus erhaltenswert sei. Es sei lediglich zu voll.
Sibelius wünscht sich also eine Renovierung. Das habe er auch dem (zu dem Zeitpunkt noch designierten) Oberbürgermeister Wolfram Leibe erzählt, und diesem habe das gefallen. "Wir gehen wirklich davon aus, dass das Haus erhalten bleibt", sagt Sibelius. Vorher muss allerdings geprüft werden, wie viel das kostet. Das hat die Stadt bereits in die Wege geleitet.
Weil in dem alten Bau nicht alle benötigten Räume untergebracht werden können, soll es einen zweiten Spielort geben. Und auch den hat Sibelius gefunden: Das Trierer Walzwerk, das sich in seiner Vision zu einem Kulturzentrum entwickelt. Neben verschiedenen Bühnen und Proberäumen, auch fürs Orchester, sowie sämtlichen Werkstätten des Theaters könnte dort in der ehemaligen Kantine ein Ballettsaal untergebracht werden. Die Hallen will Sibelius langfristig mieten. Kooperationspartner könnte die Tufa werden.
Dass das alles auf dem rund 44 000 Quadratmeter großen Walzwerkareal (siehe Extra) Platz finden würde, davon ist er überzeugt. Erst am Mittwoch hat er sich mit seinem Team das stillgelegte Industriegelände im Herzen des zentrumsnahen Stadtteils Kürenz noch einmal angeschaut. Bis Dezember wurden Stahlbänder in den Hallen gewalzt, entsprechend gut ist deren Zustand. Die Werkstätten und Büros wirken, als seien sie gestern noch genutzt worden. Von der Decke der großen Halle 1 hängen riesige Flaschenzughaken, hinter Glaswänden liegt ein kleines Büro, das Telefon ist noch freigeschaltet.
"Das ist alles so geil, das können wir sofort so nutzen für unsere Aufführungen", schwärmt Sibelius. Auch Peter Müller, technischer Leiter des Stadttheaters, ist begeistert: "Die Hallen sind in einem so guten Zustand, dass wir ohne Weiteres kurzfristig und mit geringem Investitionsaufwand hier spielen können."
Bereits im August sollen Proben beginnen, im September der "Zauberberg" in der ehemaligen Galvanisierungshalle des Walzwerks Premiere feiern, ab Oktober wird "Sweeney Todd" in der riesigen Halle 1 aufgeführt. Tobias Flemming ist der Bühnenbildner für das in einer Metzgerei spielende Musical und für die Ortsbegehung extra aus Köln angereist. Mit Interimsspielorten hat Flemming Erfahrung. "In Köln wird das Theater auch gerade saniert, und wir sind in eine Industriebrache ausgewichen", sagt er. "Und die Hallen hier am Trierer Walzwerk eignen sich auch perfekt für Theater."
Die Entscheidungshoheit liege selbstverständlich bei Stadt und Stadtrat, betont Sibelius. "Aber wir würden uns sehr wünschen, hier unser zweites Haus zu haben." Wie Kulturdezernent Thomas Egger zu der Idee steht, war diese Woche nicht zu erfahren.
Der Übergang könnte fließend sein: Die ersten Stücke würden ab Herbst in den noch nicht umgebauten Industriehallen stattfinden. "Während der Umbauphase des großen Hauses am Augustinerhof könnten wir dann komplett hierhin ausweichen", sagt Sibelius.
Ob der Größe und vielfältigen Möglichkeiten könnte der Ausbau der Industriehallen zum Kulturzentrum bereits parallel zur Sanierung des eigentlichen Stadttheaters laufen. "Mein Traum ist, dass hier ein einzigartiges, pulsierendes, vielfältiges Kulturzentrum entsteht, unter dessen Dach sich auch die freie Kunstszene zu Hause fühlt."
So sehr die Künstler sich auch für das Walzwerk begeistern: Herz des Theaters soll der Bau in der Innenstadt sein, dessen charakteristischer Kubus dem Stadtbild nun wohl doch erhalten bleibt.Extra

Das Stadttheater hat schon einmal für die Entwicklung einer Trierer Industriebrache eine zentrale Rolle gespielt: 2011 gastierte die "West Side Story" in einer Halle der ehemaligen Textilfabrik Bobinet in Trier-West. 17 000 Zuschauer wollten die Produktion in dem alten Fabrikgebäude sehen. Die Theaterproduktion lenkte damit viel Aufmerksamkeit auf die Industriebrache, die sich seitdem zu einem schicken Wohnquartier entwickelt. Ab dem 20. Juli 2015 gibt\\'s auf dem Bobinet-Gelände erneut Theater: Intendant Gerhard Weber verabschiedet sich dann mit dem extra für Trier komponierten Rockmusical "Othello Reloaded". Acht Vorstellungen sind in der Halle 6 geplant. wocExtra

Die Trierer Projektentwicklungsfirma Triwo hat das Walzwerkgelände in Kürenz im April gekauft. Bis dahin gehörte das rund 44 000 Quadratmeter große Areal dem indischen Stahlmagnaten Tata Steel. Die Triwo will die Entwicklung des Geländes auf drei Säulen stellen: Wohnen, Gewerbe sowie Kultur und Freizeit (der TV berichtete). "Es wäre eine tolle Sache, wenn sich das Stadttheater hier mit seiner Studiobühne und Werkstätten ansiedeln würde", schwärmt Triwo-Vorstand Peter Adrian. woc

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