Umjubelt und doch enttäuschend: das Guarneri-Quartett

Das Guarneri-Quartett ist eine lebende Legende und immer noch eine technisch glanzvolle Formation. Trotzdem blieben beim Auftritt in der Luxemburger Philharmonie etliche Wünsche an die Interpretationen offen.

Luxemburg. (mö) Nein - es sind nicht die kleinen Tonverschiebungen und Intonationsschwankungen. Nein - es ist auch nicht die Tatsache, dass sich das Guarneri-Quartett in der Luxemburger Philharmonie aktuellen Interpretationsmoden verweigert. Etwas Anderes, Gewichtigeres löst zumindest bei einigen unter den heftig applaudierenden Zuhörern Distanz, ja Befremden aus. Das Quartett, das zu den ältesten der Welt gehört und mit seinem auf Integration und Aufeinander-Hören angelegten Interpretationsstil Maßstäbe gesetzt hat, blieb technisch in aller Regel und vielfach auch musikalisch auf der Höhe seiner viel gerühmten Kunst. Und doch legte sich eine Anflug von Unbeteiligtsein, ein Sich-Begnügen bei formalen, kompositionstechnischen Dimensionen wie ein Grauschleier über das Konzert. Beethovens Quartett op. 18,5: Gewiss, die Energie ist da, die dem Kopfsatz seine Konturen verleiht, und wenn Beethoven im langsamen Variationssatz nach Moll wechselt, klingt auch das Fahle, Zwielichtige dieser Variation an. Und doch fehlt, was den jungen Beethoven so reizvoll macht - der optimistische Elan, diese himmelsstürmende, Begeisterung ausstrahlende Verbindung aus virtuoser Brillanz und einer nachgerade hymnischen Melodiefreude. Das Menuett klingt bei den Guarneris wie ein langsamer Satz, steif, fest und ohne Schwung. Und der Schlus-Satz, in dem griffige Thematik und Quartett-Virtuosität so herrlich konkurrieren, bleibt blass und akademisch. Auch das Brahms-Quartett op, 51,1 mochte vielleicht analytisch einleuchten - emotional bewegen konnte es nicht. Keine Frage, die Guarneris sind mit der dichten Struktur und der geballten Ausdrucks-Energie dieser Musik bestens vertraut. Aber sie kleben der Komposition allzu einseitig das Abziehbild einer klassizistischen Beethoven-Nachfolge auf. Die Zwischentöne gehen unter

Die Zwischentöne gehen unter: die schmerzlichen Terzparallelen im Kopfsatz, die sehnsüchtigen, Traum, Weite und Natur beschwörenden Hornquinten im zweiten Satz, die zwielichtigen Beiklänge im nur scheinbar gemütlichen "Allegretto molto moderato e comodo" - kurz: deren Romantik. Vielleicht ist in Borodins zweitem Quartett die Musik selber so aussagekräftig, dass Farbe jenseits vom Schwarz-Weiß auch dann aufkommt, wenn die Interpretation den Akzent anders setzt. Der langsame Satz "Notturno" jedenfalls entfaltete mit gedankenreicher Distanz, seiner romantischen, an Mozart (!) wie an Chopin anknüpfenden Besinnlichkeit, mit seiner tief empfundene Lyrik Ausdrucks-Dimensionen, die in diesem Konzert neu waren. Wie schön, wenn die Beethoven- und Brahms-Interpretationen davon profitiert hätten! Die Guarneris spielen diese Kompositionen wie große, brillante Weltmusik. Aber sie interpretieren die historischen, nationalen, regionalen und literarischen, vielleicht auch biografischen Beiklänge weg, und am Ende bleibt der Eindruck brillanter Neutralität - imponierend gewiss, aber ohne die Seelentiefe, die große Musik entbinden kann.

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