Und dann spuckte er Blut und Feuer

Sie waren nie die Härtesten, die Lautesten oder die Originellsten. Außerdem sind sie nicht mehr die Jüngsten. Doch für eine der erfolgreichsten und populärsten Bands der Musikgeschichte spielen Kleinigkeiten wie das Alter keine Rolle. Mit einer bombastischen Show machen Kiss in der Rockhal klar, dass sie immer noch Anspruch auf den Titel der heißesten Band der Welt erheben.

Esch-sur-Alzette. Eine Explosion erschüttert die Rockhal. Flammensäulen steigen zur Decke. Auf einer langsam sinkenden Plattform schweben Kiss in voller Maske und Rüstung zur Bühne. Würde sich jetzt ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum öffnen und ein Fan aus den 70ern ins Luxemburg des Jahres 2008 stürzen - er würde in den ersten Minuten nicht merken, dass er seine Realität verlassen hat.

Hysterisch kreischende Töchter und Enkel

Gene Simmons in vollem Ornat mit Rüstung und Dämonenmaske spuckt Feuer und lässt den bekanntesten Teil seiner Anatomie weit raushängen. Paul Stanley lässt die Rüstung und auch jede andere Oberkörper-Bedeckung gleich ganz weg und provoziert damit hysterisches Kreischen von Damen, die seine Töchter sein könnten. Oder seine Enkelinnen: Einige Kiss-Fans der ersten Stunde haben ihren Nachwuchs dabei, und die Kleinen staunen nicht schlecht.

Stanley und Simmons, das Sternenkind und der Dämon, sind der Kern von Kiss und das Zentrum der drei Generationen umfassenden Kiss-Hysterie. Was genau genommen schade ist, denn Lead-Gitarrist Tommie Thayer ist ein absoluter Meister seiner Saiten, und Schlagzeuger Eric Singer - seit 1991 mit Unterbrechungen dabei - hat seine Sticks so sicher im Griff wie ein Chirurg sein Skalpell.

"Alive 35" heißt die Europa-Tournee, die Kiss jetzt auch - zum ersten Mal überhaupt - nach Luxemburg geführt hat.

Der Mythos lebt überall, in Oslo war das Konzert innerhalb von neun Minuten ausverkauft. 35 Jahre sind eine lange Zeit. Das merkt auch der Zeitreisende schließlich trotz aller Begeisterung. Paul Stanleys Stimme hat noch Präsenz und Wucht, für Deutschland sucht den Superstar würde es mit Sicherheit reichen, doch sie verliert sich in höheren Lagen immer wieder in einem Krächzen.

Doch solche unvermeidlichen Schwächen ändern nichts an der Kraft eines wirklich bombastischen Live-Erlebnisses. Es donnert und blitzt in der Rockhal, die Bühne wird zum Inferno. Die Technik ist der fünfte Mann der Alt-Rocker, und die über Dekaden gewachsene Begeisterung der Fans der sechste. "Strutter", "Hotter than Hell" und das live sehr selten zu hörende "Parasite" reißen die Menge in der vollen Rockhal schon in der ersten halben Stunde mit. Mit Soli und Zwischenspielen halten Thayer und Stanley die Leute geschickt bei Laune, Simmons spuckt wie nicht anders zu erwarten Blut, und bei "Rock'n'Roll all nite" tanzt sogar das Foyer. Im Finale geben sie alles: "Lick it up", "I love it loud" - da kommt Freude auf. Die Fans sehen an diesem Abend nicht nur ein Konzert, sie bejubeln eine Ära. Kiss waren Vorbilder und Inspiration für Granaten wie Pearl Jam, Green Day, Metallica und Nirvana. Pyrotechnisch gesehen sind sie ohne jeden Zweifel immer noch "the hottest Band in the world".

Kiss - die Legende

(jp) 1972 beschließen der Grundschullehrer Gene Klein alias Gene Simmons und der Taxifahrer Stanley Eisen alias Paul Stanley, zusammen Musik zu machen. Ein Jahr später benennen sie ihre Kombo "Wicked Lester" in "Kiss" um und starten damit ein Projekt, das heute mit weltweit 80 Millionen verkaufter Alben nach den Rolling Stones und den Beatles auf Platz drei der erfolgreichsten Bands aller Zeiten steht. 18 Studio- und vier Live-Alben haben Kiss produziert, dazu kommen elf Solo-Projekte. Erst 1983 traten Kiss zum ersten Mal auf MTV öffentlich ohne Masken auf - damals die größte Sensation im Musik-Business.

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