"Uns hört wahrscheinlich sowieso keiner zu"

TRIER. In der Tat ein voller Erfolg war der Auftritt von Dieter Hildebrandt in der Tufa. Die Buchhandlung Interbook hatte den Kabarettisten nach Trier eingeladen.

Ein Hauch von Rilke liegt über dem Anfang: Wer jetzt kein Ticket hat, kriegt keines mehr. Doch die rund 30 Optimisten und Optimistinnen lassen‘s sich nicht verdrießen und warten geduldig auf zurückgegebene Karten. Keine Chance. Die Tufa ist und bleibt rappelvoll, um Deutschlands letzten nachtaktiven Kabarettisten, dessen Anfänge zeitgleich mit dem Wirtschaftswunder liegen, zu erleben. Quasi das Urgestein der Szene. "Ah ja, da ist es wieder - das ,Urgestein‘", sagt er. Den Begriff kennt er schon. "Ich frage mich, wie so ein Urgestein eigentlich aussieht", sinniert er im Gespräch mit dem TV. "Verwittert, verkommen, löcherig..." Doch keinerlei Verfallserscheinungen sind zu erkennen, als der 76-Jährige kurz darauf das Podium betritt, unterm Arm das Buch, aus dem er lesen will: "Vater unser - gleich nach der Werbung." Zuerst aber gibt‘setwas Besseres als eine Lesung, nämlich einen "Scheibenwischer" live, eine Ein-Mann-Show, wie man sie nicht einmal aus dem Fernsehen kannte. Dort hatte er ja stets Unterstützung von Kollegen, die in dieser - trotz mancher themenabhängiger Niveauschwankungen - immer noch besten Satiresendung im öffentlich-rechtlichen Senderaum für reichlich Heiterkeit und manchen Zoff sorgten. Hat er eigentlich Angebote von den Privaten bekommen, als er den Scheibenwischer ausschaltete?"Für die war ich doch schon vor zwanzig Jahren viel zu alt", meint er. Und vermutlich nicht in der Lage, sich intellektuell auf eine Ebene mit jenen Fernsehschaffenden wie die Redakteurin Carmen Pietsch zu begeben, die in seinem Buch eine Hauptrolle zu spielen glaubt - mit jenem Zug um den Mund, der typisch sei für Frauen, die nach fünfzehn Semestern ihr Germani-stikstudium erfolgreich abgebrochen haben. Selbstverständlich hält Hildebrandt sich nicht ans gedruckte Wort, nicht mal an sein eigenes. In seiner satirischen Szenenfolge geht es um einen Seniorencontainer, in den er sich zwecks Alterssicherung mit seiner Gattin begeben hat. Der Preis: ORA-TV ("eine Kirch-Tochter") darf rund um die Uhr die Kamera auf das Ehepaar halten. Dabei tun sich zahlreiche unverhoffte und erhoffte Gelegenheiten auf, über seine Lieblingsgegner zu plaudern - das Fernsehen, die Dummheit, die Politik(er). Natürlich nimmt er bei seinem spöttischen Rundumschlag die "allein armselig machende Kirche" nicht aus ("und das in dieser Stadt"). Man müsse doch "um jeden Priester froh sein, der heiratet - schon wegen der Messdiener..." Sätze wie diese dürften klerikale Ohren nur milde amüsieren. Kein Grund, sie nicht zu äußern, sieht er seine Aufgabe doch darin, "gute Laune zu bösen Themen zu verbreiten. Nicht nur ich spare mir den Psychiater, wenn ich abends auf die Bühne gehe, sondern auch der ein oder andere aus dem Publikum". Abgesehen vom therapeutischen Wert des Satirikers - braucht es heutzutage noch Mut, sich vor ein Publikum zu stellen und es mit der Nase auf die Wahrheit zu stoßen? "Ach woher", winkt er ab. Und nennt eines seiner großen Vorbilder: "Werner Finck habe ich immer hoch verehrt. Heute haben wir doch gar nicht mehr die Chance, so mutig zu sein, wie Finck es gewesen ist. Wir haben eine Pressefreiheit, die uns hindert, Spannung zu entwickeln. Wir können sagen, was wir wollen. Uns hört wahrscheinlich sowieso keiner zu." Was man von den Besuchern in der Tufa nicht behaupten kann. Das Publikum hängt, wie es so schön heißt, an den Lippen des Spötters, genießt Hildebrandts brillant vorbereitete Improvisationen, die Halbsätze, das Stottern, die Anspielungen und Abschweifungen, die irrwitzige Gedankenakrobatik, die vom Hundertsten ins Tausendste und zurück auf den Punkt führt.Gnadenlos böse - und immer ins Schwarze

Die bösen, gnadenlosen, treffenden Vergleiche sitzen immer passgenau: die aktuellen (Angela Merkel wird bei ihm ganz uncharmant zum "uckermärkischen Huhn", das als Bundespräsidenten einen Komparativ zu Kohl, nämlich Köhler, aus dem Hut zog) ebenso wie die patinierten (Schäubles alzheimernder Blackout angesichts einer in seinem Büro notgelandeten Parteispende). Und nach wie vor bewegen ihn die beiden großen Fragen, die das kulturelle Deutschland ebenfalls in Atem halten: Wo befindet sich das Bernsteinzimmer? Und wo die Festplatte von Max Strauß? Die Antworten darauf liefert Hildebrandt vielleicht im näch-sten Buch. Das ist bereits in Arbeit. Der "Scheibenwischer" sorgt also auch diesseits der Mattscheibe weiterhin für klare Sicht. Damit die Nebelwerfer kein allzu leichtes Spiel haben. no/joa

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