Unter Menschen ewig ein Fremder

TRIER. Festtag im Trierer Theater: Franz Grundheber machte, flankiert von einem guten Ensemble, den "Fliegenden Holländer" zu einem Gala-Abend. Die szenische Gestaltung blieb freilich trotz Grundhebers Darstellungskunst zwiespältig.

Soprane und Tenöre haben es in der Oper leicht, mit ihrer Spitzentönen enorme Emotionen auslösen: Erschütterung, Rührung, Mitleid, Gänsehaut. Der Mensch ist so gepolt, dass er auf hohe Frequenzen gefühlsmäßig am stärksten reagiert. Wenn eine tiefe Männerstimme es schafft, emotionale Aufwallungen zu produzieren, die einen ganzen Theatersaal fesseln und bannen, dann braucht es schon höchste Vollendung. Der verzweifelte Monolog des Fliegenden Holländers ist ein solcher Moment - wenn ihn Franz Grundheber singt. Es geht um einen Menschen, der nicht sterben darf. Der keine Hoffnung mehr hat, weil er wieder und wieder enttäuscht worden ist. Der seiner ganzen Existenz unendlich überdrüssig ist, ihr aber nicht entkommt. Der nur noch auf den Tag warten kann, an dem die Welt untergeht. Ein Albtraum.Jedes Wort ein Peitschenhieb

Bei Grundheber transportiert jedes Wort das unentrinnbare Elend dieser Situation. "Trotz", "Qual", "Grab", "Tod": jeder Begriff ein Peitschenhieb, sorgfältig moduliert, präzise gesetzt. Wo andere Sänger ihre Energie und ihre Konzentration dafür brauchen, angesichts der komplizierten Töne nicht ins Straucheln zu geraten, spielt der 68-Jährige mit dem Text, verlangsamt, beschleunigt, akzentuiert - und produziert im intensiven Austausch mit dem konzentrierten Orchester nicht einfach Musik, sondern Bedeutung. Dass er dabei dank der Tragfähigkeit seiner Stimme, des satten Tons und seiner exzellenten Technik nie an die Grenzen gehen muss, macht das Wunder seiner langen Karriere erst möglich. Die Fairness gegenüber anderen Interpreten in der Trierer Produktion gebietet allerdings auch den Hinweis, dass Grundheber die Gestaltung seiner Rolle jenseits der ursprünglichen Regie selbst besorgt. Das beginnt bei praktischen Umstellungen wie jener, dass er den Anfang seines Monologs zum Publikum hin singt und nicht gegen die Schiffsschraube - was übrigens die Frage aufwirft, warum bei "normalen" Aufführungen niemand solchen sänger-unfreundlichen Unfug verhindert. Es geht aber wesentlich weiter. Wo Regisseur Matthias Kaiser "seinen" Holländer von Akt zu Akt in Bekleidung und Umgangsformen seiner Umgebung anpasst, bleibt Grundheber bis zum Ende der exotische Außenseiter, nicht nur durch seinen tanggrünen Umhang. Sieht Kaiser den Holländer als nüchternen Geschäftsmann, der sich eine Braut und Erlöserin kauft, spielt Grundheber konsequent den deprimierten Seemann, der unter Menschen ewig ein Fremder bleibt. Da lässt sich mehr gestalterisches Potenzial für den "Holländer" herausholen als in der ursprünglichen Inszenierung, die ganz auf das Mädchen Senta setzt - und ihre Erlösungs-Fantasien, die eigentlich jedem gelten könnten. Vera Wenkert singt die Rolle weitaus mehr auf des Messers Schneide als bei der Premiere. Ihre Gestaltung der Ballade klingt wie von Grundhebers Stil inspiriert, ausdrucksvoll, stark, eng am Text angesiedelt, dem sie faszinierende Nuancen abgewinnt. Sie wagt viel, und der Lohn ist eine packende, kraftvolle musikalische Rollengestaltung. Im Gegenzug kostet der Mut zum Risiko (und vielleicht auch die Nervosität) einen gekippten Piano-Spitzenton und ein, zwei wacklige Ansätze - es ist die Sache wert. Grundhebers "Eigen-Regie" führt die Schwächen und Leerläufe in Kaisers ursprünglicher Personenführung noch einmal deutlich vor Augen. Detlef Beaujeans Bühnenbilder entfalten dagegen unveränderte Faszination, ebenso wie die brillanten Chöre. Das Orchester ist in der Ouvertüre nicht immer so akkurat wie bei der Premiere, glänzt aber durch einen ausdrucksvollen Dialog mit den Sängern. Ärgerlich und einer Gala nicht angemessen ist der Umstand, dass man das Wandbild mit der Holländer-Projektion nicht dem Gast angepasst hat. An der Wand ist ein kurzhaariger Laszlo Lukacs zu sehen, im Gegenlicht erscheint vor Senta ein langhaariger Franz Grundheber - einer der imposantesten Effekte der Aufführung ist verschlampt. Auch das permanente Quietschen der Mangel in der Waschstuben-Szene zeugt nicht von Sorgfalt und stört den Genuss. Unterm Strich - natürlich - trotzdem ein großer Abend. Weitere Anmerkungen und Diskussionsforum im Internet-Blog von Dieter Lintz unter www.intrinet.de/blog/dil-spitzen.

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