Unvergleichlich schöne Stimme

Er war der Mann, der die Opern-Arie auf Stadionformat brachte. Ein XXL-Mensch, privat wie als Sänger. "Big P." nannte ihn die Branche, die mit ihm mehr CDs verkaufte als mit manchem Pop-Star. Dass er die faszinierendste Tenor-Stimme seiner Zeit besaß, spielte da schon fast keine Rolle mehr.

Modena. Man kann es fast als Ironie des Schicksals betrachten, dass der Ton, der ihn zum berühmtesten "Ritter vom hohen C" aller Zeiten machte, "nur" ein "H" war: Die vorletzte Note in Puccinis "Nessun dorma", so triumphierend auf die Mittelsilbe des Wortes "vincero" geschmettert, wie es der Komponist nie geschrieben hatte, war spätestens seit der Fußball-WM 1990 sein gänsehauttreibendes Markenzeichen - und Schlüsselmoment des einzigen Opern-Welthits im 20. Jahrhundert. Es war auch der Auftakt zu einer jahrelangen Tingel-Tour durch die Stadien der Welt, die einmal sogar - in Luxemburg - die Region Trier streifte. Eine Handvoll Opern-Evergreens aus der Retorte, ab und zu mal noch ein Auftritt in einer repräsentativen Produktion von "Tosca" oder "La Bohème", ein paar umsatzträchtige "Pop meets Classic"-Konzerte unter dem Label "Pavarotti & Friends" - das war's. Ansonsten konnte sich der Sänger den schlagzeilenträchtigen Dingen hingeben, die er liebte: Essen, Trinken, Frauen. Wobei die Reihenfolge der Präferenz variiert haben soll. Aber da hatte es, vor dem gnadenlosen Weg in die Popularität, auch einen anderen Pavarotti gegeben. Einen jungen Bäckerssohn aus der italienischen Provinz, der sich fast autodidaktisch das Singen beibrachte. Und der Mitte der 60er Jahre rasch dadurch auffiel, dass er eine unglaubliche Stimme sein Eigen nannte. Ein helles, glasklares, wunderschönes Timbre, das in der Höhe einen Eindruck von Mühelosigkeit vermittelte, der vermuten ließ, für den Sänger gebe es jene Beschränkungen nicht, die selbst den Besten seiner Zunft Grenzen setzen. Eine elegante Stimmführung, die in den oberen Skalen den Grenzbereich des Männlichen auslotete - und vielleicht gerade dadurch enorm erotisierend wirken konnte.Legendär sein neunfaches hohes C bei Donizettis "Regimentstochter" in der New Yorker Met. Hypnotisch seine lyrischen Verdi- und Puccini-Partien. Jedenfalls solange man ihn nicht in der Rolle sah. Denn darstellerisch kam er nie über "Konzert im Kostüm" hinaus. Der Glanz der Stimme überstrahlte lange Zeit auch andere Defizite. Pavarotti war kein Charakter-Gestalter wie die Callas, kein Entdeckungsreisender wie sein Kollege und Konkurrent Placido Domingo. Keine Mission, keine Ambition. Sein Repertoire blieb winzig: Für das Koloratur-Fach fehlte ihm die Technik, für die dramatischeren Rollen die stimmliche Flexibilität, für den Charakter-Darsteller die sängerische Intelligenz. Ihm genügte es, unvergleichlich schön zu singen - und seinen Fans auch. So war es nur logisch, dass er, statt auf der Opern-Bühne neue Rollen zu erobern, selbst die Hauptrolle übernahm. Mit bunten Seidenschals, kopfkissenbezuggroßen Schweiß-Taschentüchern, windmühlenhaft ausgebreiteten Armen und Dauerlächeln gab er den Star Pavarotti. Bis hin zur Hollywood-Parodie "Yes Giorgio", in der er sich mehr oder weniger selbst spielte - und auf die Schippe nahm. In den letzten Jahren war es immer seltener seine Kunst, die ihn ins Gespräch brachte. Wenn er in der Zeitung stand, dann in den Klatschspalten statt im Feuilleton. Er hatte bis zuletzt auf eine große Abschiedstournee gehofft. Sein Publikum auch. Für viele Menschen war Luciano Pavarotti das Bindeglied zur Welt der Opernmusik, zu der sie sonst nie Zugang gefunden hätten. Dieser Verdienst wird bleiben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort