Urvater des nächtlichen Talks geht in Rente

Washington · Wie kein anderer Moderator hat Talkkönig David Letterman mehr als drei Jahrzehnte lang den späten Fernsehabend in den USA geprägt. Jetzt geht der 68-Jährige in Rente, heute wird seine "Late Show" zum letzten Mal gesendet.

Washington. Auch Barack Obama reihte sich ein in die Schar der Ratgeber, der US-Präsident, in dem beachtliches Comedy-Talent schlummert, ein Freund sarkastischen Humors. "Ich hab mir gedacht, wir könnten zusammen Domino spielen", bot Obama, ab Januar 2017 im Politiker-Ruhestand, dem angehenden Pensionär David Letterman an. "Oder wir gehen ins Starbucks um die Ecke und tauschen alte Geschichten aus."Viele Promis sagen Adieu

Es ist eine imposante Truppe von Prominenten, die sich noch einmal im Ed Sullivan Theater am New Yorker Broadway versammelt hat, um dem Hausherrn Adieu zu sagen. Bill Clinton macht launige Witze über die Aussicht, demnächst vielleicht als "First Husband" an der Seite Hillarys ins Weiße Haus zurückzukehren. Hollywoodstar Julia Roberts kommt, um zu flirten. Songschreiber-Legende Bob Dylan greift zur Gitarre. George Clooney bringt Handschellen mit und wirft den Schlüssel weg, um den 68-jährigen Altmeister zum symbolischen Gefangenen zu machen, der noch lange nicht aufhören dürfe. Dass der Late-Night-Talker mit der längsten Amtszeit in den USA in Rente gehen würde, verkündete er persönlich während einer Aufzeichnung seiner Show im April 2014. Er wolle mehr Zeit mit der Familie verbringen, erklärte er. In gut drei Jahrzehnten im Rampenlicht erwarb sich Letterman den Ruf, ein satirischer Eisbrecher zu sein. Mit seiner respektlosen Art habe er Schneisen geschlagen und Amerikas Humor gründlicher verändert als irgendwer sonst, meint sein Kollege Jimmy Kimmel, "mit ihm sind wir alle sehr viel cooler geworden". Hätte Lettermans bissige Ironie nicht Schule gemacht, hätten es seine ebenso bissigen Nachfolger ungleich schwerer gehabt - Jon Stewart, Conan O\'Brien oder Stephen Colbert, der ihn ablöst. Begonnen hat es 1982 damit, dass ein ungelenker Schlaks mit opulentem Haarschopf die ersten Gäste der "Late Show With David Letterman" ungeniert auf die Schippe nahm. "Leute, ihr seid anscheinend eine helle Truppe, jedenfalls hell genug, um ein Applaus-Zeichen lesen zu können." Ein Newcomer aus der Provinz brachte frischen Wind ins eher schale Mainstream-Fernsehen der Achtzigerjahre. Aufgewachsen in Indiana, machte Letterman die Mischung aus bodenständiger Skepsis und trockenem Witz, wie man sie Bewohnern des Mittleren Westens gemeinhin nachsagt, zu seiner Erfolgsformel. Die Abneigung gegen einen fast religiös anmutenden Promikult zog sich wie ein roter Faden durch seine Sendungen. Dass er schroff sein konnte, erklärte er mit dem Milieu seiner Eltern und Großeltern. "Du brauchst nicht unbedingt warmherzig zu sein, wenn du in Linton, Indiana, in einem Kohlebergwerk schuftest. Sie stellen Grubenarbeiter nicht aufgrund ihrer Persönlichkeitsmerkmale ein." Die Sängerin Cher warf ihm einmal an den Kopf, dass sie ihn schlicht für ein Arschloch halte. Es folgten 1993 der Wechsel von NBC zu CBS, nachdem nicht er, sondern sein Erzrivale Jay Leno bei NBC den Veteranen Johnny Carson beerben durfte. Es gab wahre Entertainerkriege mit Leno und eine lebensrettende Operation, die Letterman milder werden ließ. Nach den 9/11-Anschlägen gehörte er zu jenen, an denen sich das schockierte Land aufrichten konnte. Falls es jemand noch nicht gewusst habe: "New York City ist die großartigste Stadt der Welt", sagte er damals. Vor sechs Jahren, als ein Erpresser zwei Millionen Dollar verlangte, sonst würde er über Sexaffären des verheirateten Mannes mit Mitarbeiterinnern reden, ging der Bedrängte mit einem Bekenntnis an die Öffentlichkeit. Er habe viele Menschen verletzt, die Schuld liege allein bei ihm. Und dann der Versuch eines Witzes: "Als ich mich heute Morgen ins Auto setzte, redete die Lady vom Navigationsgerät nicht mehr mit mir." Extra

Late-Night-Shows nach amerikanischem Vorbild mit Talk, Stand-up-Comedy und witzigen Filmausschnitten gab und gibt es auch im deutschen Fernsehen: 1990 bis 1994: "Schmidteinander" von Herbert Feuerstein und Harald Schmidt im WDR. 1992-1995: Thomas Gottschalk startet mit Gottschalk Late Night (RTL), es fehlen aber wesentliche Elemente des US-Formats. 1994-1995: RTL Nachtshow mit Thomas Koschwitz, Aus wegen zu geringer Quoten. 1995-2003: Die Harald Schmidt Show auf Sat.1 kopiert die "Late Show with David Letterman" und hat regelmäßig etwa eine Million Zuschauer. 2003 macht Schmidt Pause, sein Comeback bei ARD, Sat1 und Sky endet 2014. Seit 1999: ProSieben strahlt TV total mit Stefan Raab aus. Seit 2003 läuft die SWR3 latenight, seit 2013 das Neo Magazin mit Jan Böhmermann auf ZDFneo. red

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