Vereint in der albernen Gier nach Ruhm

WITTLICH. Ein Stück Weltliteratur war am Samstag in Wittlich zu sehen. Dort gastierte das Landestheater Burghofbühne aus Dinslaken mit Georg Büchners "Woyzeck".

Nomadenvölker und Tourneebühnen haben eins gemein: Sie müssen sich was ihr Gepäck angeht aufs Notwendigste beschränken . Zumindest für die Bühnen ist der Zwang zur Bescheidung kein Nachteil, wie im Wittlicher Atrium wieder einmal zu sehen war. Allen überflüssigen Ballast abgeworfen hatte dort das Landestheater Burghofbühne. Eine schräge Ebene, an die der Mensch mit der Kette seiner gesellschaftlichen und schicksalshaften Vorbestimmung wie ein Hund gefesselt bleibt, ist die Welt in Volkmar Kamms Woyzeck Inszenierung (Bühnenbild Peter Engel). Kein Wunder, dass auf die schiefe Bahn gerät, wer nur geboren ist. Kürzer und treffender kann man Georg Büchners bittere Parabel vom geschundenen Offiziersburschen, der vor lauter Demütigung zum Mörder wird, kaum ins Bild setzen.An der Realität verzweifeln

Viel Brecht kommt und kam in Wittlich bei diesem Stück herüber, das allein in seinen Ausbrüchen und bruchstückhaften Szenenfolgen so unglaublich modern wirkt. Mit wenigen Dramen hat sich die Nachwelt allerdings auch so schwer getan, wie mit der nachgelassenen Handschrift des 22-jährigen Arztes und Autors, die in kein dramatisches Regelwerk passte und eine absolute Bankrotterklärung menschlicher Freiheit und Würde darstellte. Volkmar Kamm hat sich an die heute gängige Bühnenfassung gehalten. Sein Woyzeck verzweifelt an der unabwendbaren Gewalt seines Geschicks und dessen irdischer Vertreter, die da sind: Kirche, Militär, Wissenschaft und Frauen. Ein ziemlich lächerlicher Haufen ist dieses Personal, das Kamm als Stützen der Gesellschaft aufmarschieren lässt, mit seinen großen Sprüchen, seinen pubertären Späßen, seiner Beschränktheit und seiner albernen Gier nach Ruhm und grausamen Spielen. Wenn er nur nicht so mächtig wäre. Selbst von den Frauen gibt's nichts Gutes zu sagen. Die verkaufen sich für eine Schnur bunter Perlen und ein paar goldene Fransen. Esther Reubolds Marie jedenfalls ist ein ausgemachtes Flittchen mit ein paar klarsichtigen Momenten, für das es sich keinenfalls lohnt, zum Mörder zu werden. Dass sie zwischendurch ihren entblößten Unterleib zeigt, wo doch ohnehin jeder weiß, worum es geht, wirkt eher wie eine dramaturgische Verzweiflungstat, denn wie ein erhellender Regieeinfall. Der einzige Mensch in diesem Affentheater bleibt der, den alle Welt zum Tier macht.Es leidet, wer noch leiden kann

Jens Ulrich Seffen gibt einen Woyzeck, mit dem leidet, wer noch leiden kann. In seiner Naivität ist er klüger, als alle Welt um ihn her und wenn er mordet, dann ist er schon lange vorher selbst gemordet worden. Seffens Woyzeck macht die Inszenierung der Mühe wert. Ihm zur Seite stehen der anrührende Stefan Förster als Andres und der eindrucksvolle Thomas Groß als Narr Karl. Ansonsten macht es sich Kamm ein wenig leicht mit seiner Menschenverachtung. Ein Haufen wild herumspringender vergnügungssüchtiger Fatzken ist ein bisschen wenig, um zu erklären, woher das unendliche Leid in der Welt kommt. Freundlicher Applaus!

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