Verloren in Parallelwelten

BAYREUTH. Der "Ring" ist fertig – und doch blieb vieles unvollkommen. Nach dieser "Götterdämmerung" kann man sich kaum noch vorstellen, dass die Inszenierung merklich besser geworden wäre, hätte Tankred Dorst, der 80-jährige Opern-Neuling für sein Bayreuth-Projekt mehr Zeit gehabt.

Es fehlte schlicht am Handwerk Regie. Am Premierenabend musste er dies bitter zur Kenntnis nehmen, als er mit seinem Team vor den Vorhang trat und den geballten Unmut des Publikums zu hören bekam. Das war kein großer Wurf. Schon gar nicht für einen, von dem man wenigstens eine gute Geschichte erwartet hatte. Dorst warf seine Mythen-Maschine an, und dabei blieb's. Sprich: Seine Ideen fanden auf der Bühne keine nachhaltige Entsprechung. Allenfalls schafften es Frank Philipp Schlössmanns Bilder, Stimmungen zu transportieren. Sonst fiel der Regie nicht viel ein. Dass die als Mumien herumtorkelnden Götter bedeutungslos geworden sind, begriff man schon im "Rheingold". Die Alltags-Statisten, die meist unmotiviert durch die Szenen spazieren, betonen dazu, dass die alten Mythen vergessen sind. Dass das Sonnenbad auf der Wiese ganz gemütlich ist, auch wenn sich Sieglinde nebenan in Wahnvorstellungen ergeht, oder das Leben wenige Meter vom Drachenkampf entfernt seinen ganz normalen Verlauf nimmt und die Autobahn trotzdem gebaut wird.Erinnert an die Gesellschaft der Titanic

In der "Götterdämmerung" verengt sich die Verschränkung von Zeit- und Wahrnehmungsebenen - Dorsts Generalidee. Die Gibichungen-Geschwister landen im 20. Jahrhundert, der elegante Retro-Touch erinnert an die 20er- bis 40er-Jahre. Gunther und Gutrune residieren im Nobelhotel, schwenken die Sektgläser und sind von einer blasierten Dauer-Party-Gesellschaft umgeben. Elegante Roben, Frack und Smoking (Kostüme: Bernd Skodzig) dominierten die Szene, die entfernt an die Reise der Titanic erinnert. Schließlich geht es ja dem Untergang entgegen. Ganz nebenbei huldigen die gelangweilten Gäste den alten Göttern, die wie die Skulpturen einer Kathedral-Fassade aus der Ferne grüßen. Ein Jüngling wird mit Widderkopf versehen und zur Opferung herausgeputzt. Nur ein laszives Spiel in einer abgestumpften Society. Dorst bezieht sich hier auf die dekadente Luxus-Welt des italienischen Schriftstellers Gabriele D'Annunzio, so las man's in "Die Fußspur der Götter", seinem Buch zur Inszenierung. Trotz affinierter Lebensart pflegt man ein Faible fürs Barbarische, das Siegfried und Brünnhilde gerade attraktiv macht. Hagen, eine Mischung aus Reichsjägermeister und Gutsherr, nimmt da schon optisch eine Sonderstellung ein.Selbst die Götter wissen nicht, wohin es geht

Am Ende bleibt auch ihm, der alle ins Verderben riss, nichts weiter, als zu kapitulieren: Im Hotel ist Feuer ausgebrochen, die Gäste fliehen, die Götter brennen ab wie Feuerwerkskörper an Silvester, und der ersehnte Ring geht mit Brünnhilde ins Off. Doch damit nicht genug. Die Geflohenen tauchen wieder auf, wandeln durch die Szene und degradieren dieses letzte große Bild zum läppischen Gewusel. Sie wissen nicht, wohin es geht. Typisch Dorst, alles endet mit einer Frage und ist damit Grundsatz einer "Regie", die weit hinter der Wirkkraft von Wagners Musik bleibt. Dabei war auch das Konzept der Parallelwelten ein durchaus interessantes, allein es ging in diesem dilettantisch inszenierten Deko-"Ring" nicht auf. Die Sänger füllten das Dorstsche Vakuum so gut es ging, brachten oft ihre eigene Regie ein und mühten sich durch die Szenen. Stephen Gould, der neue Siegfried, klang selbst in der "Götterdämmerung" erstaunlich reduziert, wenngleich er mit seinem angenehm baritonalen Timbre auch wieder Gefühliges hervorbringt. Linda Watsons Vibrato-Brünnhilde klang mächtig - aber nicht schön, der glücklose Edel-Loser Gunther des Alexander Marco-Buhrmester ist recht passabel, die Gutrune der Gabriele Fontana wenig reizvoll. Kein Wunder also, dass es für Hans-Peter Königs Hagen ein Leichtes war, die Bühne auch stimmlich zu beherrschen. Sein Bass dröhnte zunächst wenig differenziert, doch war man im weiteren Verlauf um jeden seiner markigen Töne dankbar. Ihm konnten sowieso nur die fabelhaften Chöre von Eberhard Friedrich Paroli bieten. Und natürlich das, was aus dem Graben kam. Christian Thielemann, der sich noch im "Rheingold" in manchem Detail verloren und die Tempi etwas verschleppt hatte, steigerte sich im Laufe der Tetralogie zum Superstar der Neuinszenierung. Nach einem hoch konzentrierten "Siegfried" gab er in der "Götterdämmerung" noch mal Gas, ohne jedoch in Sachen Transparenz Abstriche zu machen. Keine Frage, damit war das Orchester der Rettungs-Ring dieser Produktion.

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