Verse in den Köpfen

TRIER. Wer den Namen "Gernhardt" hört, denkt an das Satiremagazin "Titanic" oder Filme von Otto Waalkes. Auch wenn der 67-jährige Lyriker nicht mehr in erster Linie auf Komik aus ist: Bei seiner Lesung in Trier zeigte sich, dass Gernhardt nach wie vor unterhalten will.

Gernhardt stört es wenig, dass in der Tuchfabrik einige Plätze leer geblieben sind. Wichtiger ist ihm, dass das Publikum weiß, worauf es sich einlässt. Dass die Komik verstanden wird. In dem Gedicht "Durch die Banken" schildert Gernhardt, was passieren kann, wenn Dichter und entgötterte Wirklichkeit aufeinander treffen: Wer mit der Frage konfrontiert wird, warum er seinen Freistellungsauftrag noch nicht eingereicht habe, der kommt mit "Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was soll das alles?" nicht weiter. Einen solchen Widerspruch zwischen Vers und Realität sucht man bei Gernhardt aber vergeblich. Seine Verse sind aus dem Leben gegriffen - und für das Leben geschrieben. Das Dichten sieht er pragmatisch. Es ist für ihn "zu fünf Prozent Inspiration, zu 95 Prozent Transpiration". Gernhardt macht sich einen Reim auf das Leben in all seinen Facetten und zeigt seinen Lesern und Zuhörern, "Was es alles gibt", wie ein Gedicht heißt. Ein Interview mit Steffi Graf, die Beobachtung eines Reihers aus einem Zug heraus, der verbale Fehltritt "Kinder statt Inder": All das hebe er im "Bernstein des Gedichtes" auf, so Gernhardt. Er schafft Verse, die in den Köpfen bleiben und dort die Jahrzehnte überdauern. Doch eigene wie fremde Gedichte werden mitunter einer Korrektur unterzogen. Deshalb ermuntert Gernhardt sein Publikum auch, die Ideen aufzugreifen, weiterzudichten. So wird das Gedicht "Nacht der deutschen Dichter" immer unvollendet bleiben. Gernhardt provoziert. Erwartungshaltungen werden aufgebaut - um dann im Sinne der Komik enttäuscht zu werden. Der Dichter karikiert Regeln und Normen, treibt seine Späße mit Reim, Rhythmus, Metrum oder Genre immer dort, wo sie zum Zwang werden. "Komik lebt von der Regelverletzung", sagt er. Und so kommt es nicht selten vor, dass ein Reimpaar oder ein Wortspiel richtiggehend weh tut. Zum Beispiel, wenn ein Gedicht den Namen "Theke, Antitheke, Syntheke" trägt. Doch dann sagt Gernhardt versöhnlich: "Da ist Trost fällig." Und gönnt dem Publikum mit ein paar vermeintlich weniger aufwühlenden Versen Entspannung. Da das Publikum mit lautem Beifall zeigte, dass es noch längst nicht genug hatte, ließ sich Gernhardt am Ende zu einer Zugabe bewegen.

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