Versteckt hinter den Rollen

TRIER. Am 2. Oktober eröffnet das Theater seine Spielzeit mit Dürrenmatts "Besuch der alten Dame". Eine Paraderolle für Verena Rhyn. Aber die "Grande Dame" des Trierer Theaters hat anders als die Claire Zachanassian des Stücks für persönlichen Glamour wenig übrig.

Verena Rhyn sieht aus, als habe sie einen Termin beim Zahnarzt. "Hoffentlich ist es schnell vorbei", sagt sie leise. Dabei geht es nur um ein Interview, das erste in den 24 Jahren, die sie dem Trierer Ensemble angehört. Fast schüchtern wirkt sie, die auf der Bühne doch die heftigsten Charaktere lebendig werden lässt. Sie war die Callas und die verrückte Alte in "Arsen und Spitzenhäubchen", sie drangsalierte einen hilflosen Schriftsteller in "Misery" und verführte einen ahnungslosen Faust als furioser weiblicher Mephisto. Sie schlug sich durch Kindermärchen und Studio-Abenteuer, reizte mal die Lachmuskeln, mal die Tränendrüsen in ihren mehr als 100 Trierer Produktionen. Und so jemand sollte nicht gern im Mittelpunkt stehen? Tatsächlich. Verena Rhyns private Zurückhaltung ist nicht von jener demonstrativen Sorte, die nur darauf wartet, dass jemand fragt. Schon wenn sie eine kleine Ansprache halten oder beim Theatercafé aus einem Buch vorlesen soll, wird sie nervös. Es verunsichert sie, wenn keine Rolle da ist, hinter der man sich verschanzen kann. Dass Theaterbesucher sie auf der Straße ansprechen, freut sie, macht ihr aber auch zu schaffen. Sie will dann niemanden enttäuschen, fühlt sich von Lob "unter Erfolgszwang gesetzt". Da passt es, dass ihr die Erarbeitung einer Rolle wesentlich mehr Spaß macht als das spätere Spielen. "Eigentlich könnte von mir aus nach der Premiere Schluss sein", sagt sie. Dann fällt ihr doch noch was ein: "Quatsch, dann könnten viele Leute es ja gar nicht sehen." Ihr Privatleben spielt sich zwischen Trier und Norddeutschland ab, wo sie seit 20 Jahren verheiratet ist. Mal fährt sie nach Hause, mal kommt ihr Mann nach Trier. Als sie 1981 von Wilhelmshaven an die Mosel wechselte, sollte es nur für zwei Jahre sein. Sie blieb hängen, "wegen der Landschaft, der Kollegen, der Natur". Reichlich Inspiration für ihr Hobby, die Malerei, das sie teils sporadisch, dann wieder "wie verrückt" betreibt. "Unendlich gern" fährt sie an der Mosel mit dem Rad entlang. Und das Text-Lernen per Kopfhörer beim Spaziergang durch die Weinberge lässt sich in der Norddeutschen Tiefebene wohl nur sehr begrenzt realisieren. Ein Glück für das Trierer Publikum, bei dem sich "die Rhyn" längst als Maßstab für Qualität etabliert hat. Auch wenn die großen Rollen in mancher Spielzeit dünn gesät waren. "Ich habe nichts gegen gelegentliche Päuschen und kleinere Rollen", beteuert sie, und es klingt ehrlich. Vielleicht ist es aber auch nur die Abgeklärtheit einer Aktrice, die fünf Intendanten, diverse Schauspielchefs und unzählige Regisseure erlebt - und bisweilen auch erlitten - hat. Nein, sie kämpfe eher selten mit den großen Theatermachern, konstatiert Verena Rhyn nüchtern. Aber wenn, dann kann es explosiv werden. "Ich sage lange nichts, aber wenn ich etwas absolut ungerecht finde, dann mache ich das Maul auf." Zum Beispiel, als Kollegen aus dem früheren Schauspiel-Ensemble recht rüde aussortiert wurden.Beklemmend und hoch spannend zugleich

Aber auch das ist inzwischen Schnee von gestern. Mit Horst Ruprecht, dem Regisseur der "Alten Dame", gibt es keine Differenzen, im Gegenteil: "Der hat klare Vorstellungen und ein großes Temperament", sagt die Schauspielerin, das sei ihr "viel lieber als die Grübler und Denker, die nicht wissen, was sie wollen". In der Tat: Schon bei den Proben, im nüchternen Arbeitslicht, wirkt die Geschichte um die Multi-Milliardärin, die Rache an einem Jugendfreund nimmt, der sie einst sitzen ließ, beklemmend und hoch spannend zugleich. Verena Rhyn und ihr Partner Peter Singer laufen zu Hochform auf, lassen den Atem anhalten. "Es muss um etwas Existenzielles gehen, sonst interessiert mich Theater nicht mehr", ruft Regisseur Ruprecht in den leeren Theatersaal. Das würde Verena Rhyn wahrscheinlich auch unterschreiben. Vielleicht ist es deshalb gerade die "Irre von Chaillot", die auf ihrer Rollen-Wunschliste ganz oben steht, jene Pariser Kleine-Leute-Ikone, die Spekulanten und Geschäftemacher gewitzt das Fürchten lehrt.

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