Volles Programm und halbe Liebeslieder Fußball-Profis und eine Ewigkeit für die erste Reihe KONZERT-DIAGNOSE

Tolle Atmosphäre bei der ausgiebigen Sprechstunde: Über 8000 Fans haben in der Arena Trier den Tour-Auftakt der "Ärzte", der nach Eigenaussage "besten Band der Welt", gefeiert. Nach einer furiosen DreiStunden-Show mit fast 40 Liedern möchte man den Berlinern kaum widersprechen. Das lange Warten, das sich lohnt: Der TV hat Impressionen rund um den Tour-Auftakt der "Ärzte" in Trier gesammelt.

Wenn ich mich mal langweile und nicht weiß wohin,

fahre ich nach Trier,

denn da ist der Tourbeginn

Trier. Überall Trier, Trier, Trier. "Ärzte"-Sänger Farin Urlaub münzt nicht nur das Zitat aus "Ich bin reich" auf die Stadt um. Nein, es gibt ein ganzes, neues Lied, extra komponiert. "Hier in Trier", heißt es, schunkelig im Dreiviertel-Takt wippt es durch die Reihen. Mit einem erfrischend sinnfreien Vier/Hier/Bier/Trier-Gereime. Das wäre musikalsich auch was für lokalpatriotische Connaisseure des Mutanten-Stadls. Die restlichen Lieder weniger.

Nein, Trier ist nicht unbedingt die zweite Heimat der "Ärzte". Als die Berliner Band zum letzten Mal in Trier auftrat, damals in der Europahalle, stand die Mauer noch. Juni 1988. Das mag sich für viele der Arena-Besucher kaum weniger fern anhören als Ur-Opa Helmuts sonntägliche Ostfront-Anekdote. Viele Zuschauer haben noch ein paar Schuljahre vor sich. Aber wie schaffen es Farin Urlaub, Bela B. und Rod González - Mittvierziger! -, dass nicht nur Teenager der Arzt-Visite entgegenfiebern, dass sie tanzen, mitsingen und noch am nächsten Tag euphorisiert sind?

Da dürfen sich auch Eltern wieder jung fühlen

Sondern dass gleichzeitig auch die (potenziellen) Eltern ein paar Reihen dahinter stehen und sich ebenso wieder richtig jung fühlen können: Vielleicht, weil sie bei "Westerland", "Wie am ersten Tag" oder dem stark umgedichteten "Zu spät" so alt waren wie jetzt einige in der ersten Reihe. Vielleicht auch, weil schon die Show und die Ansagen so unterhaltsam sind, dass man selbst dann Spaß hat, wenn man das neue Album "Jazz ist anders" noch nicht kennt. Die aufwendige Licht-Show untermalt das. Dazu stehen sieben Meter hohe, aufblasbare Gwendoline-Puppen - das Bandmaskottchen - links und rechts von der Bühne. Aber die "Ärzte" haben musikalisch genug Substanz, um ihr Publikum auch ohne optischen Schnickschnack über drei Stunden zu fesseln.

"Wir sind die beste Band der Welt." Das altbekannte Ärzte-Credo gibt es gleich als erste Ansage. Größenwahn paart sich mit jeder Menge Selbstironie. Unheimlich alt und reich seien sie, kokettiert Farin. Das Programm ist in Trier dabei gut durchgemixt, wenn auch ein paar Klassiker fehlen (siehe Hintergrund).

Bei der Band läuft vieles spontan. So mag es für manche Amateur-Combo das nackte Grauen sein, ein Lied mittendrin abbrechen zu müssen. Bei den Berlinern gehört das fast zum guten Ton. Etwa, weil einer der drei noch eine Ansage machen will. Oder weil man schlicht den Anfang eines alten Stückes vergessen hat. Was kein Problem ist - weder für die Fans noch für die Band. "Wir haben das nicht geprobt", erklärt dann Sänger und (Steh-)Schlagzeuger Bela, warum im "80er-Block" das alte Stück "Scheißtyp" nicht sofort klappt. Viele "Ärzte"-Songs sehen dabei so aus: flottes Tempo, verzerrte Gitarre, dazu markige Texte. Aber auch funkige Anklänge gibt es (Deine Freundin), durchaus unalberne Balladen (1/2 Lovesong) oder - erstmalig - eine reines Synthie-Stück im frühen 80er-Gewand, als eine von 13 Zugaben: "Elektrobier". Wo es das gibt? Hier, versteht sich, in Trier. Fehlt was? 39 Lieder, knapp drei Stunden Spielzeit, mit zehn Stücken vom neuen Album "Jazz ist anders", aber auch lange nicht mehr gehörten Liedern - sehr ordentlich! Aber bei einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte kann man da auch ein paar Hits und Publikums-Favoriten vermissen, wenn man unbedingt nörgeln will. Nicht gespielt wurden unter anderem: Radio brennt, Ist das alles?, Elke, Friedenspanzer, Komm zurück, Manchmal haben Frauen , Yoko Ono, Mach die Augen zu und küss mich, Männer sind Schweine (das spielt die Band nie live).

Setlist: Die komplette Liste mit allen 39 Songs des Trierer Konzerts finden Sie im Internet unter volksfreund.de/extra

Im Einsatz: Die Sanitäter hatten insgesamt 80 (kleinere) Einsätze - verglichen mit früheren Tokio-Hotel-Konzerten ist das allerdings gar nichts (was auch an der Publikums-Struktur liegt). Schwerste Verletzung dabei: ein gebrochener Fuß.

Rückkehr in die Region: Die Ärzte, mit 25 Millionen verkaufter Tonträger eine der erfolgreichsten deutschen Bands, spielen am 10. Juni 2008 in der Rockhal Esch. Die Hälfte der Karten ist bereits weg. (AF)

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