Vom Hotel in die Klinik

TRIER. Wo Tokio Hotel spielt, haben die Sanitäter viel zu tun: Hunderte Fans brechen bei den Konzerten zusammen. Doch wer halbwegs wieder auf den Beinen ist, geht meist zurück in die voll besetzte Halle.

Ein bisschen erinnert es ja schon an ein Lazarett: In Reih und Glied stehen die Tragen aus Stahlrohr in der kleinen Turnhalle, die direkt an den Hauptraum der Arena grenzt. Zu den Sanitätern in ihren orangfarbenen Jacken kommt niemand freiwillig. Auch die, die im grellen Licht der Neonröhren auf den Tragen liegen, wären lieber drinnen in der Halle, als die Musik von Tokio Hotel durch die halb geöffnete Tür zu hören. Für ein Konzert zieht man sich vernünftig an - das ist selbst den Besuchern auf den Tragen anzusehen. Ein Mädchen, das vielleicht zwölf Jahre alt ist, trägt ein schwarzes T-Shirt und hat sich die Haare schwarz gefärbt. Die junge Besucherin sitzt auf einer der Bahren und hält einen Becher Wasser in der Hand. Sie sieht bleich aus und erschöpft. Neben ihr sitzt eine Helferin. "Du hast keine Luft mehr gekriegt", fragt sie. "Einfach so?" Einfach so? Wohl kaum, denn bei einem Konzert von Tokio Hotel einen guten Platz zu ergattern, ist harte Arbeit. Morgens um sechs sind die ersten Fans an der Arena aufgetaucht. Genug getrunken haben viele beim stundenlangen Warten nicht. Auch deshalb drücken die Helfer den meisten, die zur Behandlung kommen, erst mal einen Becher Wasser in die Hand. Eine Frau führt einen Jungen an der Hand. Auf seinem Sweatshirt klebt Erbrochenes. "Hier lang", sagt Helmut Bonerz und weist in Richtung Erste-Hilfe-Raum. Als Einsatzleiter dirigiert er die 84 Helfer vom Malteser Hilfsdienst und vom Roten Kreuz in der Halle und um sie herum. Kreislaufkollaps ist bei den meisten, die zur Behandlung kommen oder dorthin getragen werden, die Diagnose. Rund 230 Patienten sind es, die die Helfer von DRK und Maltesern an diesem Abend versorgen müssen. Zum größten Teil sind es Mächen, die wegen Kreislaufproblemen zusammenbrechen, die jüngste Patientin ist gerade einmal acht Jahre alt. Blutdruck messen, ruhig auf die Trage legen und der obligatorische Becher Wasser ist bei den meisten die Behandlung. Wenn es ihnen wieder besser geht, stürzen sich viele wieder in die Menge - schließlich gilt es, keine der 90 Minuten, die Tokio Hotel spielt, zu verpassen. Auf einer Trage sitzt ein Junge. Neben ihm steht sein Vater. Ihm ist "einfach so" schlecht geworden, erzählt er. Wenige Minuten später läuft er bereits wieder im Raum herum: "Ich hab Hunger." Zwei ältere Helferinnen führen je zwei Mädchen, die gerade wieder gehen können, in Richtung Tür. "Auf's Klo", sagt die eine von ihnen und öffnet die Tür. Was sein muss, muss sein. Auf einer der Tragen liegt ein Mädchen unter einer grauen Wolldecke und zittert. Es atmet viel zu schnell, die Lungen bekommen zu viel Sauerstoff. Hyperventilation nennen das die Mediziner, Abhilfe schafft eine Plastiktüte vor dem Mund. Bei einem anderen Mädchen reicht das nicht mehr: Die Sanitäter legen eine Infusion an und bereiten den Abtransport vor. Neben der Trage steht eine Freundin, im T-Shirt mit dem Aufdruck "Schrei" und telefoniert mit dem Handy. Zwölf Besucher werden es am Ende des Konzerts sein, für die der Abend im Krankenhaus endet.

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