Vom Sprachwahnsinn und den Feinden im Theater

Haben die wirklich nichts Besseres zu tun? Das fragten sich die Menschen schon vor 21 Jahren, als der Rat für deutsche Rechtschreibung eine vollkommen überflüssige Rechtschreibreform auf die Schiene setzte. Brauchte kein Mensch, wollte kein Mensch (jedenfalls keiner, der nicht in dem Rat saß und sich irgendwie für diese Rumsitzerei durch wilden Aktionismus rechtfertigen zu müssen glaubte).

 Sieht etwas altmodisch aus: links der kleingeschriebene Buchstabe „Eszett“, rechts die Variante in Großschreibung. Das Eszett, das „scharfe S“, gibt es nun auch offiziell als Großbuchstaben.Foto: dpa

Sieht etwas altmodisch aus: links der kleingeschriebene Buchstabe „Eszett“, rechts die Variante in Großschreibung. Das Eszett, das „scharfe S“, gibt es nun auch offiziell als Großbuchstaben.Foto: dpa

Foto: Stephan Jansen (dpa)

Und jetzt, halten Sie sich fest, haben sich die Deutsch(ver)walter in Mannheim schon wieder was ausgedacht, das ebenso überflüssig ist wie ein Kropf. Ab sofort gibt es das Eszett, also das ß, auch als Großbuchstaben. Das muss man sich mal reinziehen. Wie viele Wörter kennen Sie, die mit ß beginnen? Na? Szene. Okay. Soll die zukünftig etwa so aussehen: ßene? Zugegeben, das ist jetzt noch das kleine ß (weil die PC-Tastaturen natürlich noch nicht auf den neuesten Wahnsinn geeicht sind), aber, so heißt es, dieser neue Buchstabe, der 25. unseres Alphabets (wenn man ä, ö und ü nicht als vollwertige Mitglieder der Buchstabenreihe zählen will), "sieht aus wie ein Mittelding zwischen dem bisherigen, klein geschriebenen ,ß' und einem groß geschriebenen B". Na toll! Und wofür das alles? Vor allem für die korrekte Schreibung von Eigennamen in Pässen und Ausweisen sei dies wichtig, teilte der Rat für deutsche Rechtschreibung mit. Bisher hatten zum Beispiel Menschen mit dem Nachnamen Oßner ein Problem: Wenn in einem Ausweisdokument wegen der Großschreibung der Buchstaben anstelle des "ß" ein Doppel-"S" steht, bleibt unklar, ob sie Ossner oder Oßner heißen. Das ist in der Tat ein Problem. Millionen Deutscher heißen schließlich Oßner, und die haben ihr Land wahrscheinlich noch nie verlassen dürfen, weil in ihren Pässen ein falscher Name steht. Amtlich zulässig sei jetzt auch die Großschreibung des Adjektivs in Fällen wie "Goldene Hochzeit" und "Neues Jahr". Aber, auch das muss man sagen, die Mannheimer Männer (oder sind etwa auch Frauen dabei?) haben sich zumindest in einem Fall der normativen Kraft des Faktischen gebeugt: Da sich kein Mensch Ketschup über die Pommes kippen wollte, wird aus dem "sch" wieder ein "ch". Klingt wenigstens weniger matschig. Auch andere ungebräuchliche Varianten fallen weg. Zum Beispiel "Grislibär" (amtlich erlaubt ist nur noch Grizzlybär), "Joga" (nur noch: Yoga), "Komplice" (Komplize) und und und … Ach, schreibt doch, wie ihr wollt. Ist ohnehin egal. Auch das wussten wir schon, zumindestens die Trierer, zumindestens jene, die mehr oder weniger regelmäßig ins Theater gehen (oder gingen). Frank Castorf, (65), scheidender Berliner Volksbühnen-Intendant, hat es bei seiner Abschiedsrede in Worte gefasst: Der Ex-Chef hält eine "gesunde Feindschaft" zwischen dem Theater und dem Publikum für nötig. "Wichtig für die Volksbühne war, dass man den Zuschauer nicht nur mag, sondern auch hasst", sagte Castorf in einem Interview. Man brauche Konflikte, um sich verständigen zu können. Das gelte sicher auch für die Gesellschaft als ganze. Ob da im Trierer Stadtrat jemand total auf dem falschen Dampfer gesessen und die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat, mit denen der geschasste Intendant Sibelius unübersehbar gewunken hat? Der vielleicht nur eine gepflegte Feindschaft zu seinem Publikum aufbauen wollte? Na ja, das hat er ja irgendwie auch geschafft … no/dpa Unterm Strich - Die Kulturwoche

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