Von Altersmilde keine Spur

TRIER. Sein Nimbus macht ihn längst unabhängig von Moden und Trends: Franz-Josef Degenhardt, Liedermacher, Schriftsteller, gelernter Jurist, füllte bei seinem Gastspiel in der Tufa spielend den großen Saal.

Der erste Augenblick lässt manchen aufschrecken: Nach vorn gebeugt, mit mühsam wirkenden Schritten legt die Legende die wenigen Meter auf der Bühne zurück. "Er ist ganz schön alt geworden", werden nachher, beim Pausengespräch, viele sagen, leicht schaudernd bei dem Gedanken, dass es bei ihnen durchaus ähnlich sein könnte.Fast vier Jahrzehnte ist es her, dass "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" erschien, und der Großteil des Publikums, das an diesem Abend die Tufa bevölkert, konnte zu diesem Zeitpunkt den Plattenspieler schon eigenständig bedienen. Die Gruppe der Bartträger ist so überproportional vertreten wie die der grau gewordenen Junglehrer. Es sind keine Revoluzzer mehr, aber wer zu Degenhardt geht, steht den alten Idealen zumindest noch so nahe, dass er sich nicht angesprochen fühlt, wenn der Liedermacher sarkastischden Weg einstiger Klassenkämpfer zu Unternehmensberatern besingt.Vielleicht ist es das, was den immer noch bekennenden Sozialisten zur Ikone macht: Dass er den 68er-Marsch durch die Institutionen, meist von links unten nach rechts oben, konsequent verweigert hat. Jetzt, mit knapp 72, ist er noch kompromissloser geworden, radikaler in seiner Analyse der Schwachstellen der Gesellschaft.Neuer Zorn statt heiterem Zynismus

Von "Altersmilde" ist da wenig zu spüren. Das klang zwischendurch mal anders. "Heiteren Zynismus" und "melancholische Nachbetrachtung" attestiertenihm die Kritiker in den Neunzigern. Der Irak-Krieg und der weltweite Turbo-Kapitalismus haben seine Aggressivität wieder geweckt und bestimmen den Inhalt der neuen Lieder.In "So what" treibt er die Sprache und die Argumentationslinien der Markt-Ideologen auf die Spitze und entstellt sie so zur Kenntlichkeit. Ein Lied, das eine Hymne für die Attac-Bewegung werden könnte, wären Degenhardts Lieder als Anfeuerungsfanfaren nicht so völlig ungeeignet.Denn mehr als je zuvor schließen die Stücke, auch musikalisch, mit Fragezeichen. Vieles endet fragmentarisch, selten gönnt er dem Zuhörer eine versöhnliche Harmonie als Abschluss. Es dominieren die düsteren Töne, Endzeit-Prognosen wie "Reiter wieder an der schwarzen Mauer".Dass der "alte Faschismus" noch da sei, nur eben "nicht mehr mit knarrenden Stiefeln, sondern mit Fun und Tralala", ist Degenhardts feste Überzeugung. "Und wird noch kälter werden in unsrer kalten Welt", heißt es in seinem Herbstlied, "wir sitzen am Fluss und zählen die Leichen" in einem anderen. Der fröhliche, den Zeitläuften trotzende rote Großvater, einst Stammfigur seiner Lieder, ist gestorben. Der historische Optimismus, die gute Sache werde sich zwangsläufig schon irgendwann durchsetzen, ist Degenhardt gründlich vergangen.Ein bisschen Hoffnung ist er seinem Publikum trotzdem schuldig. Aber wenn er von den "ersten Gesängen" erzählt, sie sich "wieder ganz leise in der Ferne" für eine bessere Welt erheben, spricht die tieftraurige Gitarrenmelodie, die sein Sohn und Begleiter Kai dazu spielt, eine andere Sprache.Weitaus mehr als ein Begleiter

Begleiter ist übrigens ein Wort, dass die filigrane Arbeit von Kai Degenhardt nur unzureichend beschreibt. Er kommentiert, kontrastiert, illustriert - und stützt auch schon mal da, wo Stimme und Fingerfertigkeit des Seniors dem Alter Tribut zollen müssen.Em Ende des Konzerts ist mancher, der noch in der Pause fröhlich von alten Zeiten schwärmte ("Ich hab ihn 1971 in Pirmasens gesehen" - "Ich schon '69 auf der Waldeck"), leicht mitgenommen von der Abschiedsstimmung, die das Konzert durchzieht. Für nostalgisches Zurücklehnen war Degenhardt ohnehin noch nie der Richtige. Und die grandiose Adaption von Brassens' skurrilem "Testament", als erste Zugabe gespielt, klingt inzwischen zu autobiographisch, als das man sich einfach darüber amüsieren könnte.Gegen Ende erkämpft sich das Publikum vom sichtlich erschöpften Künstler noch die "Schmuddelkinder". Mit zwei, drei einleitenden Sätzen dokumentiert der Sänger die brennende Aktualität des alten Lieds. So viel hat sich substanziell eben doch nicht geändert im Lande.Die Zuschauer werden wieder da sein, sollte Franz-Josef Degenhardt ein weiteres Mal in der Tufa spielen. Und es wird nicht nur daran liegen, dass ältere Konsumenten nach den Erkenntnissen der Marktforscher besonders markentreu sind.

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