Goethes "Faust I" am Theater: Von einem, der in seinen eigenen Kopf reist

Trier · Der Regisseur Ronny Jakubaschk inszeniert Goethes "Faust I" am Theater Trier. Im Original des vielleicht größten Deutschen Dichters seufzt Faust: "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust." Triers Faust kann da mehr anbieten. Gleich mehrere Seelen hat er in seinem Kopf. Es geht um eine gespaltene Persönlichkeit.

Trier. Die Techniker des Theaters Trier hämmern und werkeln auf der Bühne, am Montag muss das Bühnenbild stehen: ein riesiges Jahrmarktskarussell. Natürlich mit Lichtern. Und der hölzerne, verzierte Ring muss sich natürlich hoch und runter bewegen lassen können. "Der wird die Krone symbolisieren, die sich Faust selbst aufsetzt", erklärt Ronny Jakubaschk. Der 37-jährige Regisseur des Goethe-Klassikers sitzt im Großen Haus des Theaters am Regiepult, während auf der Bühne fleißig gezimmert wird. Eine Etage tiefer singt sich seine Hauptdarstellerin Gina Haller für ihre Rolle des Gretchens ein.

In diesem "Faust" wird nämlich gesungen. Ganz nah bei Goethe, der hatte für sein Theaterstück nämlich ursprünglich ganz andere Pläne: "Goethe hatte Faust mal als Singspiel gedacht und sich gewünscht, dass Mozart es komponiert." Zwölf Lieder seien damals aus Goethes Feder entsprungen, die von Bastian Bandt für die Trie rer Inszenierung vertont werden. Haller singt sich ein, die Techniker bauen auf der Bühne das Karussell, Jakubaschk erzählt im Zuschauerraum von Faust. Eine Figur, die so bekannt ist, dass Zitate von ihr in den Sprachgebrauch übergegangen sind (Des Pudels Kern, die Gretchenfrage), ein Stoff, den man voraussetzen kann. Ein Segen für Goethe, eine Herausforderung für jeden Regisseur: "Wir müssen versuchen, den Text lebendig zu machen, aktiv und nicht papiern.

Damit Zuschauer ihn noch einmal bewusst hören", sagt Jakubaschk. Und vielleicht etwas für ihr Leben aus dem Stoff ziehen. Faust sei eine moderne Figur, vielleicht sogar die erste moderne. Ein Mann in einer frühen Midlife-Crisis. Der aus seinem Gedankenkäfig ausbrechen und ein Mensch der Tat werden möchte. "Faust hat das dringende Bedürfnis, Erfahrungen zu machen." Deswegen auch das Jahrmarktskarussell, ein einziger Rausch, und alles dreht sich um einen einzigen Punkt: Faust. Bei Jakubaschk tritt die Figur keine Reise durch die Welt an, sondern eine Reise in seinen eigenen Kopf. "Alle Figuren, die Goethe trifft, sind abgespaltene Teile seiner Persönlichkeit." Darunter Liebe, Empathie, Tatkraft, Spontanität und die Bereitschaft, von einem Plan abzuweichen und Fehler zu riskieren. Übrigens die Spezialität des Mephisto.

"Mephisto ist die Schattenseite Fausts, alles, was er eben nicht ist: schalkhaft, witzig, kein Geistesarbeiter." Faust sei zwar ein Mensch, der global denkt, aber im wahrsten Sinne des Wortes egozentrisch, narzisstisch sei. Am Ende seines Egotripps stehen eine Entscheidung und die Vernichtung einer bürgerlichen Kleinfamilie. Faust kehrt sich ab von der Idee eines Familienkonzepts, von Liebe und empathischen Regungen. Gretchen und ihre Familie vergehen, die abgespaltenen Teile von Fausts Persönlichkeit verschwinden von der Bildfläche. "Faust geht als kalter, berechnender Mensch in die Geschichte von Faust II", sagt Jakubaschk und erklärt weiter: Es sei eine Fabel darüber, wie so ein Mensch entstehen kann. Goethe sei überzeugt gewesen, dass der bloße Gedanke an eine Tat bereits schuldig mache. Die eigenen Gedanken erschaffen die Welt, heißt es heute. Deshalb solle man möglichst positiv denken. Goethe sah das pessimistischer. Faust denkt, entscheidet sich, macht sich schuldig an Gretchen, seiner ganzen Umwelt und endet immer tragisch. Er erkennt im Nachhinein erst, wie er hätte handeln können, doch dann ist es zu spät.
Ende der Fabel. "Der Zuschauer kann so sein eigenes Handeln befragen, schauen, mit welcher Figur er sich am ehesten identifizieren kann", sagt Jakubaschk. Vielleicht mit dem schalkhaften Mephisto, dem liebesleidenden Gretchen oder eben dem vergeistigten Goethe. Und vielleicht die Schlupflöcher nutzen, die Faust erst im Nachhinein erkannt hat.

Premiere: Montag, 3. Oktober, 19.30 Uhr, Großes Haus.

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