"Was für unser Gehirn gut ist, ist gut für uns"

Trier · Seine Thesen sind provokant: Computer und digitale Medien stören die geistige Entwicklung, vor allem bei Kindern, sagt der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer. Im Trifolion in Echternach eröffnet er am Donnerstag, 5. März, eine Vortragsreihe, die sich mit dem Wesen des Menschen befasst.

 Manfred Spitzer steht für eine Hirnforschung, die verstärkt soziale Phänomene und deren Einfluss auf unser Gehirn in den Blick nimmt. Foto: privat

Manfred Spitzer steht für eine Hirnforschung, die verstärkt soziale Phänomene und deren Einfluss auf unser Gehirn in den Blick nimmt. Foto: privat

Trier. Als Mediziner, Psychologe und Hirnforscher untersucht Manfred Spitzer, wie sich unser Gehirn und gesellschaftliche Entwicklungen gegenseitig beeinflussen. Mit seiner Bewertung kultureller Trends hat der Ulmer Professor für Kontroversen gesorgt, etwa mit seiner Kritik am Konsum digitaler Medien, denen er einen schädlichen Einfluss vor allem auf die geistigen Fähigkeiten von Kindern zuschreibt. Mit TV-Redakteurin Christa Weber hat er über Gefahren und Herausforderungen für unser Gehirn gesprochen.Herr Spitzer, bei der Vortragsreihe "Horizonte" steht die Frage nach dem Wesen des Menschen im Fokus. Welchen Beitrag zu unserem Wesen leistet das Gehirn? Steuert es, wer wir sind?Manfred Spitzer: Im Grunde ist die Verbindung noch inniger: Wir haben nicht ein Gehirn, das uns steuert, wir sind letztlich unser Gehirn! Man erkennt dies sehr einfach im Falle von Organtransplantationen: Herz oder Niere kann man transplantiert bekommen, ein Gehirn - selbst wenn dies technisch möglich wäre - nicht. Wer das Gehirn eines Spenders transplantiert bekommen würde, würde aufwachen, in den Spiegel schauen und sich wundern, dass er so aussieht wie der Empfänger. Es wäre aber letztlich der Spender, der übrig bleibt und gerade nicht der Empfänger. Insofern sind wir tatsächlich unser Gehirn.Sie sagen, dass sich gesellschaftliche Veränderungen auf unsere geistige Entwicklung, unsere "Hirn-Software", auswirken. Welches kulturelle Phänomen der vergangenen zehn Jahre hat denn unsere Hirn-Software am stärksten beeinflusst?Spitzer: Schwer zu sagen. Alles, was wir geistig tun, sämtliche Gedanken, Erlebnisse und Wünsche bleiben in unserem Gehirn hängen - ganz einfach deswegen, weil das Gehirn sich mit seinem Gebrauch jeweils ändert. Damit ist auch klar: Wenn Jugendliche hierzulande 7,5 Stunden täglich vor Bildschirmen zubringen (das sind Daten aus großen Untersuchungen in Deutschland), so kann dies eines nicht haben: keine Auswirkungen.Ihrer Meinung nach hinterlässt ein permanenter Umgang mit elektronischen Medien besonders negative Spuren im Gehirn. Welche sind das?Spitzer: Viele junge Menschen benutzen elektronische Medien für ihre Freizeitgestaltung. Wer sozial viel über den Bildschirm kommuniziert und nicht mit realen Menschen, dessen Fähigkeit zur Empathie für andere wird nachlassen. Wer digital viel Aggression auslebt, der wird aggressiver. Beides ist in großen Studien nachgewiesen. Wer lieber immer schnell online nachschaut beziehungsweise andere Leute fragt, wird sich das eigenständige Denken und Handeln abgewöhnen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.Ich bin Journalistin, bin täglich online und auf Facebook unterwegs, arbeite mit Computer, Internet, Smartphone. Muss ich mir Sorgen um mein Gehirn machen?Spitzer: Computer und digitale Informationstechnik insgesamt nehmen uns geistige Arbeit ab. Wer geistig arbeitet, kann daher insgesamt produktiver sein, wenn er die neuen Medien nutzt. Daran besteht gar kein Zweifel. Ein Problem gibt es allerdings dann, wenn junge Gehirne sich noch durch die Auseinandersetzung mit der Welt entwickeln sollen. Nehmen wir als Beispiel den Taschenrechner: Wer in der siebten Klasse einen bekommt, der gewöhnt sich das Kopfrechnen ab und kann es irgendwann nicht mehr so gut. Nicht anders steht es mit anderen geistigen Leistungen.2012 haben Sie mit Ihrem Buch "Digitale Demenz" für viel Diskussion gesorgt. Darin erläutern Sie, dass permanentes Onlinesein eine Art geistigen Abstieg auslöst. Wie kann man dem als Mitglied einer Mediengesellschaft vorbeugen? Spitzer: Auch hier habe ich argumentiert, dass digitale Medien die geistige Entwicklung in den ersten zwei Lebensjahrzehnten dramatisch beeinträchtigen. Dies ist in Studien nachgewiesen. Wenn man nun ein weniger entwickeltes Gehirn hat, das dann durch irgendwelche Krankheitsprozesse an Leistungsfähigkeit verliert, wird man dies eher merken als mit einem gut durchtrainierten Gehirn: Demenz heißt ja letztlich nichts anderes als "geistiger Abstieg". Für jeden Abstieg gilt: Je höher man anfängt, desto länger dauert es, bis man unten ist.In immer mehr Schulen werden allerdings digitale Medien und Computerprogramme im Unterricht eingesetzt. Geht es nicht darum, die Kinder den richtigen, maßvollen Umgang mit Medien zu lehren statt sie davon fernzuhalten? Spitzer: Große Studien aus Deutschland und dem Ausland haben nachgewiesen, dass digitale Medien das Lernen an Schulen nicht verbessern. Nicht einmal der Umgang mit dem Computer wird in Laptop-Klassen besser gelernt. Alles andere - Deutsch, Mathematik, Englisch, Naturwissenschaften - wird mit Computer sogar schlechter gelernt! Ich bin definitiv dagegen, dass wir öffentliche Mittel an Schulen für Maßnahmen verschwenden, von denen nachgewiesen ist, dass sie keine positiven Auswirkungen auf das Lernen haben. Das gilt vor allem dann, wenn immer noch Unterricht wegen fehlender Lehrer ausfällt! Noch ein Gedanke zum "Fernhalten": Man hat früher einmal versucht, den Kindern im Unterricht beizubringen, sich von Drogen fernzuhalten. Hierzu gab es einen "Drogenkoffer", um die Dinge ganz praktisch anzusprechen. Der Unterricht damit hat die Neugierde der Jugendlichen nur stark geweckt und den Drogenkonsum verstärkt. Entsprechendes gilt für digitale Medien: Diese machen süchtig und beeinträchtigen die Gehirnentwicklung. Wir brauchen sie nicht an den Schulen. Ich weiß, dass diese Auffassung unmodern klingt, sie ist jedoch die einzige, die sich durch Daten erhärten lässt. Alles andere ist Werbung für eine Industrie, die jetzt schon zu den reichsten gehört und die noch reicher werden will - sei es auch auf Kosten der Gehirne der nächsten Generation!Kritiker werfen Ihnen vor, ein Kulturpessimist zu sein, der den Fortschritt ausbremsen will, obwohl sich seine Thesen wissenschaftlich kaum belegen lassen ...Spitzer: Ich entgegne meinen Kritikern, dass sie es sind, deren Thesen sich wissenschaftlich nicht beweisen lassen. Immer wieder zeigt sich, dass meine Kritiker vor allem persönliche Angriffe gegen mich vornehmen und sich gerade nicht auf Wissenschaft beziehen."Wir googlen uns blöd" ist auch eine Ihrer Thesen. Ist das denn ein Wesenszug des Menschen, dass er immer den leichtesten Weg sucht?Spitzer: Es gehört sicher zum Wesen des Menschen, dass er so effektiv wie möglich arbeitet. Das trifft auch für das Gehirn zu. Wenn ich etwas google, dann weiß mein Gehirn, "das kann ich ja googlen" und speichert es mit geringerer Wahrscheinlichkeit ab. Ganz allgemein gilt, dass es sich mit unserem Geist ähnlich verhält wie mit unserem Körper: Einerseits versuchen wir, alles so effizient wie möglich zu erledigen. Andererseits wissen wir aber auch, dass, wenn unser Körper nicht genug leistet, er langsam kaputt geht. Genau deswegen gehen wir ins Fitness-Studio, joggen oder versuchen, uns anderweitig fit zu halten. Mit unserem Geist ist es nicht anders: Wer immer den Weg des geringsten Widerstands geht, dessen Gehirn wird langfristig weniger leistungsfähig.Bei den Echternacher Vorträgen geht es auch darum, neue Perspektiven einzunehmen. Auf welche Horizonterweiterung hoffen Sie?Spitzer: Aufklärung, das heißt echte Erweiterung des Wissens, war immer ein Anfang für Veränderung. In diesem Sinne möchte ich den Menschen klarmachen, was gut für ihr Gehirn ist und was nicht. Denn was gut für unser Gehirn ist, ist auch gut für uns. Insofern geht es letztlich in meinem Vortrag darum, was jeder für sich ändern kann, um ein glücklicheres und gesünderes Leben zu führen. cwebExtra

Die Vortragsreihe "Horizonte" im Trifolion in Echternach stellt die Frage nach dem Wesen des Menschen. Hat der Mensch ein Grundwesen? Wie entsteht unser Verhalten? Ist unser Wille wirklich frei? Über diese Fragen sprechen prominente Experten wie der Hirnforscher Manfred Spitzer. Er diskutiert zum Auftakt (Donnerstag, 5. März), wie sich die Entwicklung des menschlichen Gehirns und gesellschaftliche Prozesse gegenseitig beeinflussen. Es folgen der Schriftsteller Richard David Precht ("Moral und Verantwortung", Mittwoch, 18. März), der Ex-tremsportler Joey Kelly ("No Limits - Wie schaffe ich mein Ziel", Donnerstag, 7. Mai) sowie der Hirnforscher Wolf Singer mit dem Autor Manfred Osten ("Die Willensfreiheit - ein Irrtum?", Donnerstag, 21. Mai). Alle Vorträge beginnen um 20 Uhr. Karten: TV-Service-Center Trier, Hotline 0651/7199-996, <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de" class="more" text="www.volksfreund.de"%> ; Infos zu Busshuttle: <%LINK auto="true" href="http://www.trifolion.de" class="more" text="www.trifolion.de"%> cweb Extra

Manfred Spitzer wurde 1958 bei Darmstadt geboren. Er studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg. 1989 habilitierte er sich für das Fach Psychiatrie mit der Arbeit "Was ist Wahn?". Von 1990 bis 1997 war er Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. 1997 wurde er auf den Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Ulm berufen. Seit 1998 leitet er die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm. cweb

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