Was ist denn das für ein Theater!

Köln/Trier · Schlips und Kleid gehören längst nicht mehr zur Standardausstattung beim Theaterbesuch, aber lassen die Zuschauer heute auch ihr gutes Benehmen zu Hause? Der TV über mitgebrachte Butterbrote, Zwischenrufe und Handydisplays.

Was ist denn das für ein Theater!
Foto: (g_kultur
 Elegant ins Theater war lange Zeit die Devise. Unser Bild zeigt das Verleger-Ehepaar Nikolaus und Luise Koch bei der Eröffnung des Trierer Theaters 1964.TV-Fotos (2): Archiv

Elegant ins Theater war lange Zeit die Devise. Unser Bild zeigt das Verleger-Ehepaar Nikolaus und Luise Koch bei der Eröffnung des Trierer Theaters 1964.TV-Fotos (2): Archiv

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Köln/Trier Etwa ein Jahr nach dem Bühneneklat in der Kölner Philharmonie im Februar 2016, ist Cembalist Mahan Esfahani am Mittwoch, 1. März, erneut dort zu Gast gewesen und hat vorsorglich mehr Respekt vom Publikum eingefordert. Der 1984 geborene Esfahani hatte damals sein Konzert mit Werken von Johann Sebastian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach und dem Stück "Piano Phase" des Minimal-Music-Pioniers Steve Reich wegen Protesten abbrechen müssen. Viele der 1800 Leute im Saal klatschten und lachten mittendrin oder riefen dazwischen ("Sprich deutsch!"). Der in Großbritannien lebende Cembalist beklagte, noch nie bei einem Konzert so gestört worden zu sein wie in Köln, zumindest nie "auf so eine lautstarke und fast gewalttätige Art". Etliche Abonnenten seien offensichtlich mit einem Anspruch in die Philharmonie gekommen, den einzulösen er nicht verpflichtet sei, sagte er. Vielmehr sei es das Publikum, das ihm den Respekt schulde.
Wie steht es um das gute Benehmen des Publikums? Noch vor wenigen Jahren waren Schlips, Anzug und Premierenkleid der Standard. Heute gibt es im Zuschauerraum oft Grund zum Ärgern: Das reicht von Essen und Trinken, bis zu Zwischenrufen und verfrühtem Rausgehen. Der Volksfreund wollte von Theaterschauspielern wissen, ob und wie sie das Benehmen der Zuschauer von der Bühne aus wahrnehmen und empfinden. "Durch öffentliche Kritik am Publikum, wie es sich manchmal herauslesen lässt, wird kein besseres Publikum gewonnen, sondern noch mehr verprellt. Das ist meine Ansicht und auch persönliche Erfahrung", antwortet ein Schauspieler, der nicht genannt werden möchte. In Zeiten halbvoller Theatersäle will er nicht, dass sich das Publikum kritisiert fühlt. Doch es geht nicht um Publikumsbeschimpfung, denn meistens steckt eher Gedankenlosigkeit als böse Absicht hinter dem Verhalten der Zuschauer.
Der in Trier lebende Schauspieler Alexander Ourth sieht es gelassen: "Wenn ich spiele, konzentriere ich mich auf die Situation auf der Bühne." Auf die Frage, ob er erlebt habe, dass Leute während der Vorstellung beispielsweise essen und trinken, sagt er: "Es gibt einen Rahmen, da mag das in Ordnung sein, zum Beispiel wenn wir Theatersport spielen. Aber definitiv nicht im Theater! Es ist eine Frage des Respekts gegenüber den Schauspielern und dem Stück. Theater erfordert eine Bereitschaft der Zuschauer, aktiv an etwas teilzuhaben. Dem gegenüber steht eine konsumistische Haltung, das ist auch ein Unterschied zum Kino oder Fernsehen. "
Zwischenrufe habe er noch nie erlebt. "Die Leute schlafen eher, weil sie in einer anstrengenden Zeit leben. Das Theater hat sich angepasst. Die Stücke werden stärker gekürzt, die Inszenierungen vielleicht ein bisschen effektorientierter, damit die Menschen bei der Stange bleiben. Die Sehgewohnheiten haben sich eben stark geändert. Das Publikum ist besser informiert, und stellt - Hollywood und Spieleindustrie sei Dank - hohe Ansprüche, was Unterhaltung angeht. Ich sehe das nicht negativ. Die Welt verändert sich, und das Theater hält mit." Christian Miedreich, freiberuflicher Schauspieler in Neuss und ehemaliges Mitglied des Trierer Schauspielensembles unter Ex-Intendant Gerhard Weber, gibt offen zu: "Auf großen Bühnen, die weiter weg vom Zuschauer sind, nehme ich das Publikum nicht detailliert wahr. Auf kleineren Bühnen, auf denen man näher am Publikum ist und man einzelne Reaktionen eher wahrnimmt, kann es durchaus störend sein, wenn Leute unruhig und unkonzentriert sind. Da nervt es auch, wenn sie vor dem letzten Vorhang oder gar mit dem ersten Klatschen aufstehen und gehen. Das empfinde ich oft auch als Entwürdigung meiner zuvor gezeigten Darstellung." Seit vielen Jahren ist Barbara Ullmann am Theater Trier beschäftigt und sagt ehrlich: "Als Schauspieler kriegt man sehr viel davon mit, was im Zuschauerraum los ist. Die Stimmung ist deutlich spürbar. Ein begeistertes Publikum kann Schauspieler wunderbar beflügeln - Störungen bewirken natürlich das Gegenteil. Das können Kleinigkeiten sein, wie ein vom Handydisplay beleuchtetes Gesicht oder auch größere Aktionen. Wenn zum Beispiel eine ganze Schulklasse fünf Minuten vor Ende aufsteht und geht, tröstet es nur wenig, dass die Gruppe wahrscheinlich zum Bus eilen muss. Das hat jeder Schauspieler schon mehrfach erlebt. Da es die Situation auf der Bühne meistens nicht hergibt, darauf zu reagieren, bleibt einem nichts anderes übrig, als in der Konzentration zu bleiben und den Frust zur Seite zu schieben." Doch einmal war es anders: "Vor einigen Jahren spielte ich die Kassandra in der Orestie. Während meines Monologes stand ein Mann auf und ging hinaus, und das nicht gerade leise. Nach meinem Monolog rannte ich nach vorne ins Foyer in Richtung Toiletten - und da war er: Der Herr hatte nicht entrüstet das Theater verlassen, sondern war nur mal kurz für kleine Jungs! Ich werde nie vergessen, wie er die Treppen hochkam, und Kassandra - im rauschenden Kleid, mit wallender Perücke und Edelsteinen auf der Haut - oben auf dem Absatz stand. Meine Frage, ob ihm vielleicht plötzlich schlecht geworden sei, verneinte er. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass sein Verlassen des Saals so stört." (mit Material von dpa)

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