Was passierte in den Jahren

TRIER. Konstantin Wecker in der Europahalle - das hat was vom Besuch eines guten alten Freundes. 700 Zuschauer kamen, um den Liedermacher wiederzusehen.

Vor 20 Jahren war er zum ersten Mal da, mit einer Band, die fast Orchester-Stärke hatte und Orff'sche Klänge produzierte. Er kam mit Streichquartetten und mit afrikanischen Chören. Für seine legendäre Tour mit den Jazz-Größen Dauner und Mariano war Trier zu klein, dafür brachte er beim nächsten Mal den Italo-Liedermacher Pippo Pollina mit. Unvergessen ein Auftritt, als er, zugedröhnt bis in die Haarspitzen, mit frisch eingegipstem Fuß auf der Europahallen-Bühne umhersprang wie ein hyperaktives Rumpelstilzchen. Kurz danach kam der Absturz. Da talkte er in Sendungen wie Feldbuschs "Peep"-Show und wusste kaum mehr, was er sagte.Wecker 2003: Das ist ein Künstler, der sich und anderen nichts mehr beweisen muss. Da ist keine Hast mehr in seinem Auftritt, den er alleine absolviert, meist am Klavier, ab und zu an einem Rezitations-Tischchen. Nur die Beine tanzen immer noch Stakkato auf den Pedalen des Flügels. Der 55-Jährige hält Rückschau, blättert im musikalischen Familienalbum - nicht ohne Selbstironie. Die notorisch erfolglosen Debüt-Alben, der erste "Hit" mit "Wenn der Sommer", die fetten Jahre, deren Titel die meisten im Publikum noch auswendig können. Dann klafft eine Lücke, die Zeit des "Dämmerzustands", wie er es selbst bezeichnet.Schnee von gestern. Faszinierend, zu sehen, wie die Musik auch ohne Show und Orchestrierung trägt. Nichts wirkt monoton, Wecker improvisiert viel, lässt Titel ineinander gleiten Dann tupft er ein paar Takte von Tschaikowskis "Capriccio italien" in ein Vorspiel und blinzelt schelmisch ins Publikum, ob wohl jemand es bemerkt hat. Mal lugt der Kriminal-Tango um die Ecke, mal "Smoke on the water" oder Lou Reed. Ein Gedicht an seinen Vater unterlegt er mit "Nessun dorma", aber so, wie es Puccini komponiert hat, nicht wie es Pavarotti zu trompeten pflegt.Das hat musikalische Substanz, findet Höhepunkte in "Es herrscht wieder Frieden im Land", "Was passierte in den Jahren" oder Hannes Waders "Schon so lang". Weckers Grundfarbe ist dunkler geworden, nicht depressiv, aber doch melancholischer als einst.Es dauert fast eineinhalb Stunden, bis er mit dem "Waffenhändler-Tango" den ersten Polit-Song auspackt, gefolgt von "Amerika" und "Sag Nein". Da johlt das Publikum, egal ob 30 oder 60.Aber der beeindruckendere Wecker ist derjenige, der Kästners "Ballade vom Misstrauen" mindestens so einfühlsam vertont hat wie Herman van Veen die "Sachliche Romanze" des gleichen Autors. Das Lied ist neu, von Schaffenskrise kann also keine Rede sein. Höchstens, dass hier einer mit seinen Ressourcen endlich vernünftig umgeht.Zum Schluss des zweieinhalbstündigen Solos ist Konstantin Wecker sichtlich erschöpft. Bei seiner Biographie ein beruhigendes Zeichen. Ganz am Ende gibt es stehende Ovationen. Beifall, der gar nicht mehr auf Zugaben schielt, der nur noch Respekt ausdrücken will und Zuneigung. Und Erleichterung darüber, dass der alte Freund die Kurve gekriegt hat.

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