Was von den zornigen jungen Männern bleibt

Die englische Gesellschaft hat ihr soziales Kastensystem im Prinzip bis heute nicht überwunden. Hier die Aristokratie, dort die Arbeiter: Der Aufstieg von ganz unten nach ganz oben, jahrhundertelang absolut unmöglich, blieb selbst im 20. Jahrhundert die spektakuläre Ausnahme.

Was von den zornigen jungen Männern bleibt
Foto: (g_kultur

Dieses soziale Korsett prägte auch die britische Literatur bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
Da probten auf einmal zahlreiche junge Schriftsteller den Aufstand, zumindest an der Schreibmaschine, was ihnen den Beinamen "angry young men" einbrachte. Zu ihnen gehörten John Osborne ("Blick zurück im Zorn"), Alan Sillitoe ("Samstagnacht und Sonntagmorgen"), Edward Bond ("Gerettet") oder Kingsley Amis ("Jim im Glück").
Einer, der auch dazugehörte, aber heute fast vergessen ist: John Braine (1922 - 1986).
Dabei schrieb er 1957 mit "Room at the top" (auf Deutsch zunächst unter dem theatralischen Titel "...und nähme doch Schaden an seiner Seele" und ab 1960 unter dem sachlicheren "Der Weg nach oben" veröffentlicht) das klassische Aufsteigerdrama schlechthin.
Der 25-jährige Joe Lampton beschließt nach einer bedrückenden Kindheit, ganz nach oben zu gelangen. Als Angestellter am Finanzamt einer nordenglischen Kleinstadt hat er erkannt, dass dies durch Fleiß und Kompetenz im Beruf nicht möglich ist. Also macht er sich an Susan heran, die zur besseren Gesellschaft gehört und die für ihn zur Eintrittskarte in diese Kreise wird.
Dummerweise verliebt er sich in die zehn Jahre ältere, unglücklich verheiratete Französin Alice. Sie beginnen ein Verhältnis, was den jungen Mann jedoch nicht davon abhält, Susan zu schwängern. Vor die Entscheidung gestellt "Geld oder Liebe", entscheidet sich Joe für die Tochter des Millionärs. Kurz darauf nimmt Alice sich das Leben.
Der Roman gehörte 1957, obwohl wegen seiner teils kolportagehaften und konventionellen Erzählweise gewiss kein literarisches Meisterwerk, dennoch zu den meistdiskutierten Neuerscheinungen, warf er doch ein grelles Licht auf die bessere Gesellschaft, entlarvte deren Heucheleien und Bigotterie.
Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis London die aufregendste und hipste Metropole Europas wurde; "Der Weg nach oben" war quasi ein erster frischer Windstoß, der den britischen Nachkriegsmief verwirbelte und schließlich, mit Hilfe der Werke anderer zorniger junger Männer, vertrieb.
Hier sprach eine literarische Figur aus der Unterschicht in einfacher Alltagssprache über ein Land, das ihm und seinesgleichen den Weg nach oben so schwer wie möglich, am liebsten unmöglich machte. Zwar konnten damit die gesellschaftlichen Strukturen nicht wirklich aufgebrochen, aber doch zumindest erstmals ernsthaft infrage gestellt werden. Rainer Nolden
John Braine, "Der Weg nach oben", aus dem Englischen von Herbert Schlüter, 292 Seiten, über zvab.com

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