Wegen Schönheit ins Kloster verbannt

TRIER. Irland im Jahre 1964 liefert den Hintergrund für ein Frauendrama, mit dem der Schotte Peter Mullan seine zweite Regiearbeit vorlegt. Der Film erhielt in Venedig im September 2002 den "Goldenen Löwen".

Sie zeigen drastisch,was mit vier jungen Frauen in einem der be- rüchtigten irischen Magdalenen-Klöster geschieht. Warum wirkt Ihr Film vor allem in katholischen Ländern so schockierend? Mullan: In diesen Klöstern wurde die Schwäche der dort eingeschlossenen Frauen ausgenutzt. Es ging nur ums Geschäft. Ganz vordergründig. Mich wundert, wenn mich jetzt die katholische Presse als Lügner oder Unruhestifter beschimpft. Denn ich habe diese Klöster nicht gebaut!Sind Sie selber katholisch aufgewachsen? Mullan: Ja, als Kind war ich von der Idee besessen, Gutes zu tun. Und um meiner Mutter einen Gefallen zu tun, wollte ich Priester werden. Also bin ich als Elfjähriger vier Tage lang ins Kloster gegangen, bis ich mich unsterblich in die Tochter eines Nachbarn verliebte. Das hat mich vor meinem Leben als Priester gerettet. Und als ich dann noch Karl Marx entdeckte, war es endgültig aus mit der Religion.Mit welcher Art von Priestern hatten Sie es denn zu tun? Mullan: Zum Glück hatten wir keinen pädophilen Priester wie viele andere Kinder. Der unsere war eher ein typischer Vertreter: Er trank und rauchte zu viel. Eines Tages, als wir den Strom nicht mehr bezahlen konnten, wollte ich in der Kapelle Kerzen "besorgen" - so wie Julie im Film ins Kloster verbannt wurde. Der Priester schnappte und verprügelte mich. Ich weinte, denn ich schämte mich, zuzugeben, dass wir so arm waren.Warum war der Einfluss der katholischen Kirche besonders in Irland so stark, dass die letzten Magdalenen-Klöster erst 1996 geschlossen wurden? Mullan: Diese Klöster arbeiteten als Reinigungen, aber mit dem Aufkommen der Waschmaschine in den 70er Jahren waren sie immer weniger rentabel. In den 80er Jahren erschienen die ersten Artikel über den Machtmissbrauch in diesen katholischen Institutionen. Außerdem verlor Irland das Interesse an der Kirche, weil die Religion dem Kapitalismus im Wege stand. Das arme Irland erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Plötzlich ging es nur noch um die Jagd nach Geld, um Besitz, Kaufen und Verkaufen. Mammon hatte Gott abgelöst.Wie hat damals die katholische Kirche reagiert? Mullan: 1993 gab es eine Fernsehsendung über katholische Waisenheime - gegen die die Magdalenen-Stifte beinahe wie Ferienlager wirkten. Das löste eine Flut von Anrufen aus, in denen die Menschen die schrecklichsten Geschichten erzählten. Der Vatikan schickte einen Abgesandten, der diese Menschen befragte und zu dem Ergebnis kam: "Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so einem Fall von Massenhysterie begegnet." Eine reichlich mittelalterliche Entschuldigung!Was hat Sie bewogen, diesen Film zu drehen? Mullan: 1999 stieß ich auf einen Dokumentarfilm, in dem eine Frau erzählte, dass man sie in einen ka- tholischen Stift gesteckt hat, weil sie zu hübsch war. Ich fragte mich, wer schließt denn Frauen weg? Und ich entdeckte bei meinen Untersuchungen über das Schicksal vieler junger Mädchen in den katholischen Institutionen, dass die Kirche wie ein großes Geschäft funktioniert. Das war für einen idealistischen Katholiken, der ich mal war, ein harter Schlag. Die Borgia-Skandale oder Gerüchte um die Verstrickung des Vatikans mit der Mafia, die mögliche Ermordung von Johannes Paul I. - das alles finde ich längst nicht so zynisch wie das, was die katholische Kirche den "Kleinen" antut.Können Filme wie "Die unbarmherzigen Schwestern" gesellschaftskritisch wirken? Mullan: Ich hoffe, dass sich aus dem Film etwas Konkretes ergibt. Etwa Entschädigung für die Frauen aus den Magdalenen-Stiften. Ich erwarte, dass die katholische Kirche mehr tut, als sich bloß zu entschuldigen. Denn die Kirche hat eine gefährliche Routine mit ihren Entschuldigungen. Noch vor über einem Jahr hat sich der Papst bei den Juden, den Protestanten und den Frauen entschuldigt. Wir wissen, was die Katholiken den Protestanten und Juden angetan haben. Jetzt werden eben auch die Frauen erwähnt. Sich zu entschuldigen ist zu einem leeren Ritual geworden.Hat Sie Karl Marx endgültig vom katholischen Glauben abgebracht? Mullan: Nein. Als Dramatiker schöpft man stets aus dem katholischen Fundus. Als ich in Glasgow aufwuchs, gab es kaum Schauspieler-Vorbilder - nur Sean Connery. Aber der war weit weg, zu sehr James Bond. In Schottland gab es eigentlich nur religiöse Kunst auf Bildern oder Grabsteinen. Daher fühlte ich mich zwischen Friedhof und Kino hin- und hergerissen. Ich liebe die katholischen Ikonen und Zeremonien, die ganze Mystik um Jesu‘ Fleisch und Blut.Die Fragen stellte unser Mitarbeiter Marcus Rothe.

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