Wenn Liebesbriefe spalten

WITTLICH. Die Ankündigung der Veranstaltung "Liebesbriefe an Hitler" als Beitrag des städtischen Kulturamtes zum Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung am 9. November spaltet die öffentliche Meinung. Die Stadt hält an Termin und Ort fest.

Aktiv erinnern wider das Vergessen. Mahnen für Gegenwart und Zukunft. - Das wollen alle, die am 9. November öffentlich innehalten. Es ist der Tag, an dem 1938 in der so genannten "Reichskristallnacht" Synagogen geschändet wurden. Das Datum gilt als Übergang vom diskriminierenden Antisemitismus zur systematischen Verfolgung bis hin zur Ermordung von sechs Millionen Juden. "Datum und Ort sind ungeeignet"

Am 9. November wollen Menschen Zeichen setzen, den Opfern von Shoa oder Holocaust gedenken. Weiterhin gibt es den von Roman Herzog 1996 ins Leben gerufene Gedenktag am 27. Januar (Befreiung Auschwitz) für alle Opfer des Nationalsozialismus. Doch in welcher Form, mit welchen Inhalten kann erinnert werden, damit das Gedenken nicht nur rückwärts gewandt ist? Wie widmet man den Tag den Opfern? Diese Frage beschäftigt die Öffentlichkeit seit der Ankündigung, in der Kultur- und Tagungsstätte ehemalige Synagoge veranstalte das Kulturamt der Stadt Wittlich am 9. November eine szenische Lesung, die auf Liebesbriefen an Hitler basiert. Frauen haben sie, dokumentiert in einer gleich lautenden Publikation, zwischen 1939 und 1944 an ihren "geliebten Führer geschrieben". Darauf reagierte unter anderem der seit 1987 bestehende Arbeitskreis "Jüdische Gemeinde Wittlich", der am Tag seit Jahren Mahnwachen initiiert. Auch hat er sich um die Dauerausstellung in der früheren Synagoge "Jüdisches Leben in Wittlich" verdient gemacht. Der Arbeitskreis schreibt an die Stadt: "Dieser Tag ist eindeutig auf das Gedenken an die Entrechtung und Verfolgung der Juden im damaligen Deutschen Reich gerichtet. Diese Ausrichtung des 9. November wird nach unserer Überzeugung beschädigt, wenn andere Themen aus der Zeit des Nationalsozialismus oder historische Seitenthemen ins Zentrum gerückt werden." Die "Liebesbriefe an Adolf Hitler" trügen nicht dazu bei, "Ursachen des Nationalsozialismus und dessen Folgen in Weltkrieg und Holocaust zu erklären." Man halte Datum und Ort für die Theaterveranstaltung für ungeeignet Die Stadt dagegen sieht keinen Grund, die Lesung in Frage zu stellen. "Es gibt in unserer Republik weder ein Meinungsmonopol noch ein Monopol für die Erinnerung oder Geschichtsschreibung. Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes gewährleistet ausdrücklich die umfassende Freiheit von Kunst und Kultur", sagt Bürgermeister Ralf Bußmer auf TV-Nachfrage: "Ich bin nicht bereit, aufgrund eines Meinungsstreits in dieses essentielle Freiheitsrecht einzugreifen. Eine rege Diskussion in der Sache als sachlich diskutative Auseinandersetzung begrüße ich ausdrücklich.""Rege Diskussion steigert das Interesse"

Das steigere das Interesse an der Sache, bereichere das Thema. Die Demokratie dürfe aber vor den Argumenten der Kritiker der Veranstaltung nicht kapitulieren, "political correctness" sei absolut fehl am Platz. Der städtische Pressesprecher Ulrich Jacoby betont: "Inhaltlich stehen das zugrunde liegende Buch und das hieraus entwickelte Theaterstück sicher nicht zur Diskussion. Diese unsere Meinung wird nach Auskunft von Dr. Yaghoub Khoschlessan, dem Vorsitzenden des Bündnisses für Menschlichkeit und Zivilcourage des Kreises Bernkastel-Wittlich, auch von der Jüdischen Gemeinde Trier, dem Landesverband der Juden in Rheinland-Pfalz und der Deutsch-Jüdischen Gesellschaft geteilt und unterstützt."

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