Wer braucht da noch Bayreuth?

Eine Weltklasse-Solistenbesetzung, eine ebenso unkonventionelle wie intelligente Inszenierung, ein exzellenter Dirigent samt gut aufgelegtem Orchester und Chor: Die Aufführung der Wagner-Oper "Lohengrin" im Grand Théâtre Luxemburg bescherte dem Publikum der Großregion ein sensationelles Theater-Ereignis.

Luxemburg. An diesem Lohengrin ist manches anders. Kein strahlender Held zieht da, vom Schwan gezogen, ins deutsche Herzogtum Brabant ein. Eher zufällig sitzt da ein unscheinbarer Mann auf seinem Koffer und gerät in einen tödlichen Streit zwischen der Herzogstochter Elsa und dem machtlüsternen Grafen Telramund.

Elsa, die naive Schwärmerin, glaubt fest daran, dass ein Erlöser vom Himmel kommen wird, um ihre Ehre und ihr Leben zu retten. Also übernimmt Lohengrin die Rolle, und Elsas Euphorie steckt alle an. Ein bisschen imposanter Mummenschanz mit einem riesigen Schwanenflügel, schon liegt ihm das Volk zu Füßen, und er braucht das kurzerhand ausgeliehene Schwert nur zu heben, prompt kapituliert selbst der erprobte Kämpfer Telramund.

Was Regisseur Michael Sturm da auf die Bühne bringt, ist ein durchdachtes Stück über die Macht der Suggestion. Die Einzige, die das Spiel durchschaut, ist Telramunds Frau Ortrud, deren Rolle als Gegenpol zu Lohengrin selten so klar herausgearbeitet und gewichtet wurde.

Was wirklich wahr ist, bleibt offen: Als Lohengrin am Ende, nachdem ihm Elsa die verbotene Frage nach seiner Herkunft gestellt hat, wieder gehen muss, stellt er sich in Politiker-Pose ans Rednerpult und erzählt eine (seine?) Geschichte. Das Misstrauen seiner Frau hat den Mythos zerstört, den sie selbst geschaffen hat. Und ohne Mythos keine Macht. Abgang.

Das klingt abstrakt, erschließt sich aber bei der Aufführung auch Nicht-Eingeweihten sehr anschaulich. Das hängt damit zusammen, dass die Regie nicht ihre Kopfgeburten aufpfropft, sondern sehr nahe bei Wagners Text und Musik bleibt - auch wenn sie althergebrachte Konventionen über den Haufen wirft. Das gilt auch für Stefan Rieckhoffs Ausstattung, die mit verschlissenen Mustertapeten ein heruntergekommenes Herzogtum beschreibt, das durch seinen neuen Messias plötzlich in strahlendes Licht getaucht wird. Beziehungsreich, bisweilen auch ironisch-brechend wird mit Kostümen und Accessoires gespielt.

Die Besetzung bietet mit das Beste, was derzeit in der Welt des Wagner-Gesangs zu haben ist. Allen voran Peter Seiffert in der Titelrolle, ein Solitär in seinem Fach, vor allem, weil seine Stimme - für Heldentenöre unüblich - faszinierend hell und klar timbriert ist. Wo andere Stars dank langjähriger Wagner-Strapazen längst auf den Felgen singen und nur durch schieren Krafteinsatz über die Runden kommen, übertönt Seiffert mit stupender Technik mühelos heftigste Orchester- und Chorwogen. Und überzeugt dazu als eindrucksvoller Darsteller. Wie überhaupt die Gaststar-Truppe sich vorbildlich in die Inszenierung einfügt, ihre Ideen mitträgt - beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Petra Maria Schnitzers Bayreuth-erprobte Elsa überzeugt durch stimmliche Beherrschung und präzisen Ausdruck. Christoph Fischesser ist ein überaus kultivierter, wortverständlicher König Heinrich. Michaela Schuster begeistert als Ortrud mit kühl kalkulierter Dämonik, Olafur Sigurdarson verkörpert überzeugend den zerrissenen Telramund.

Dirigent Constantin Trinks bestätigt einmal mehr, warum er als eine der größten Nachwuchshoffnungen in Deutschland gehandelt wird. Wenn der derzeitige Bayreuth-Herrscher Christoph Thielemann zu Recht wegen seines wunderbar teutonischen Stils gelobt wird, so begeistert bei Trinks gerade sein wunderbar unteutonischer Stil. Keine Bedeutungshuberei, stattdessen fast italienisches Temperament, gepaart mit einer filigranen Durcharbeitung der Partitur.

Die Leistungsfähigkeit der Großregion dokumentiert

 Keine Chance gegen Gralsritter Lohengrin: Graf Telramund.Fotos: (2) Grand Théâtre

Keine Chance gegen Gralsritter Lohengrin: Graf Telramund.Fotos: (2) Grand Théâtre



Orchester, Chor, Bühnenbild und Inszenierung der Produktion stammen vom Staatstheater Saarbrücken. Die Weltklasse-Besetzung hat Luxemburg möglich gemacht. Höchst beeindruckend und zukunftsträchtig, was die Großregion zustande bringt, wenn man zusammenarbeitet statt nebeneinander her zu wursteln. Schade, dass in Sachen Trierer Antikenfestspiele offenbar noch niemand auf diese Idee gekommen ist.

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