Wie die Musik der Neandertaler klingt

HANNOVER. Björks Auftritt bei den Eröffnungsfeierlichkeiten der olympischen Spiele in Athen haben weltweit 4,5 Milliarden Menschen am Bildschirm verfolgt. Jetzt erscheint das neue Studioalbum der Isländerin. Schillernder Paradiesvogel, geheimnisvolle Kindfrau, rebellische Postpunkerin - so wechselvoll ihre Rollen auch sein mögen: Björk bleibt Björk.

Das isländische Wunderkind Björk Gudmundsdottir stand als Elfjährige in der Rockband ihres Stiefvaters zum ersten Mal auf der Bühne. Bereits mit 14 mischte der quirlige Teenager die Kunstszene der Hauptstadt Reykjavik auf. Björk organisierte Ausstellungen, entwarf Mode und gründete mit diversen Mitstreitern die erste surrealistische Literatengruppe der nordischen Insel. Vor allem aber machte sie Musik. Dabei wechselte sie die Stilrichtung genauso schnell wie ihre Bands, die spröde Namen trugen wie Theyr, Toppie Tikarras und Kukl. Aber erst mit den Sugarcubes sollte sich für die charismatische Künstlerin mit der unverwechselbaren Vokalarbeit der ganz große Erfolg einstellen. In einer Mixtur aus ungewöhnlichen Harmonien und einer Prise Jazz stellte die experimentierfreudige Gruppe gängige Hörgewohnheiten auf den Kopf und avancierte zu einem Monument der alternativen Popmusik der späten Achtziger. Für ihr Solo-"Debüt" verabschiedete sich die Nachtigall Björk 1994 schließlich von ihrem zungenbrecherischen Nachnamen Gudmundsdottir. Dem experimentellen Pop blieb die kleine Frau allerdings treu, indem sie ihre tanzbodenorientierten Songs zwischen Pop, Jazz, House und Techno in Damentoiletten aufnahm oder sich den exzentrischen Drum&Bass-Guru Tricky ins Studio holte. Trotz aller klanglichen Merkwürdigkeiten fanden ihre Singles regelmäßig den Weg in die Charts. Am 30. August erscheint das neue Studioalbum "Medulla". Schon der Titel - Medulla ist das lateinische Wort für Knochenmark oder auch das Innere einer Pflanze - markiert die Abkehr vom introvertierten Sound der letzten Jahre. Im Mittelpunkt der erdigen Klänge steht die exaltierte Stimme der durchgeknallten Chanteuse, die am 21. November ihren 38. Geburtstag feiert. Statt mit Instrumenten arbeitet sie diesmal mit einer ganzen Schar von Sangeskollegen. Darunter der ehemalige Faith-No-More-Frontmann Mike Patton, der legendäre britische Jazz-Vokalist Robert Wyatt und Chöre aus England, Island und Grönland. Björk stellte sich vor, sie und ihre Mitstreiter würden in einer Höhle sitzen und jemand würde anfangen zu singen, jemand anderes würde den Rhythmus rappen, die nächste Person die Melodie singen. Als Inspiration diente das Heidentum mit der Vorstellung eines Universums, das einzig und allein von menschlichen Wesen bevölkert ist - ohne Werkzeuge, Religionen oder Nationalitäten. So könnte die Musik der Neandertaler geklungen haben. "Man kann sehr glücklich sein in seiner Höhle. Das ist sehr ursprünglich", findet Björk. Den ungewöhnlichen Titel "Oceania" präsentierte Björk bereits bei der Eröffnung der olympischen Spiele. Er dürfte als die am wenigsten radiofreundliche Single in ihre Diskographie eingehen. Extrem eingängig kommt dagegen das melancholische "Who Is It" daher mit den abgehackten Rhythmen von US-Rapper Rahzel, auch bekannt als ‚The Human Beatbox'. Und mittendrin schwebt natürlich Björks zerbrechliche Stimme. Fotos in unserer clickme-Galerie

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