Wie zwei Züge im eingleisigen Tunnel

Bis zehn Minuten vor Beginn der "Antigone"-Premiere im Amphitheater regnete es in Strömen. Doch der Mut der Intendanz sowie die Wetterfestigkeit des Publikums und vor allem der Akteure wurde mit einer spannenden, festspielwürdigen Aufführung belohnt.

 Packend-rebellisch: Stephanie Eidt (links, Antigone), mit Claudia Felix (Ismene). TV-Foto: Friede mann Vetter

Packend-rebellisch: Stephanie Eidt (links, Antigone), mit Claudia Felix (Ismene). TV-Foto: Friede mann Vetter

Trier. Antigone heult. Nicht wie ein Mensch. Eher wie ein Tier, das seinen Schmerz herausschreit. Klagelaute mischen sich in den Schluss-Monolog der lebendig Begrabenen, und es klingt wie ein trauriger Gesang, wenn sie über das Unglück lamentiert, das ihr die Götter "mit keinem Recht antun".Regisseurin Adelheid Müther zeigt in ihrer Interpretation von Sophokles' "Antigone" Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie stolpern, stürzen, rutschen, können sich kaum auf den Beinen halten, buchstäblich umgehauen von den Mächten des Schicksals, das sie beutelt und Konflikten aussetzt, für die sie keine erträgliche Lösung finden können.Nur König Kreon steht da als gelassener Gegenpol. Kein übler Willkürherrscher und Demagoge, wie Peter Singer brillant herausarbeitet, sondern ein grundkonservativer Vertreter von Recht und Ordnung, gefestigt in seinen Anschauungen, ein mächtiger Realpolitiker. Aber er hat stur entschieden, dass ein Mensch, den er - aus seiner Sicht nicht ohne Grund - als Staatsverbrecher einstuft, nach seinem Tod, jeder Würde beraubt, nicht beerdigt werden darf, sondern auf offenem Feld verfaulen soll. Die Staatsräson will es so. Antigone, die Schwester des Toten, erträgt das nicht, weil es ihren Moralvorstellungen, die sich auf übergeordnetes, göttliches Recht berufen, fundamental widerspricht. Es reicht ihr nicht, den Bruder heimlich zu begraben, sie sucht, packend-rebellisch, wie Stephanie Eidt sie spielt, im Widerstand den offenen Konflikt.Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Jeder ein unnachgiebiger Vertreter seiner Moral, unfähig, sich in die Gemüts- und Interessenslage des anderen hineinzudenken. Die Macht der Macht und die Macht der Ohnmacht prallen aufeinander wie zwei Züge im eingleisigen Tunnel, und am Ende gibt es nur Opfer. Antigone ist tot, und Kreon ein wimmernder, gebrochener Mann.Die Regie findet dafür eins von vielen großen, im Gedächtnis haftenden Bildern. Peter Singer kniet zwischen seinem Sohn und seiner Frau, die er beide in den Tod getrieben hat, und weiß nicht, welchen von beiden Leichnamen er mit seinem Mantel bedecken soll, der für beide nicht reicht. Da endlich bricht die Fassade der routinierten Selbstsicherheit. Singer und Eidt sind ein großes Antagonisten-Paar. Sie immer gefährlich nah an der Grenze zur Hysterie, aber nie einen Millimeter darüber hinaus. Er, die antike Sprache kunstvoll auf ein alltägliches Maß herunterbrechend. Wobei die grandiose Übersetzung von Martin Walser und Edgar Selge schafft, was sonst so selten gelingt: den Sophokles in die Gegenwart zu holen, ohne sich in irgendeiner Weise zeitgeistig anzubiedern. Noch ein großer Pluspunkt des Abends: Er schafft, eine Verbindung zwischen der Dramaturgie des Stückes und der Kulisse herzustellen. HA Schults "Trash People" sind hier keine optische Staffage, sie sind integraler Bestandteil des Spiels. In der Mitte der Bühnenfläche (Raum: Peter Müller) eng zusammengekauert, formen sie mal das stumme Publikum für Kreons Ansprachen, mal den Chor, der die Tragödie kommentierend begleitet, mal ein Labyrinth, durch das sich der blinde Seher Teiresias (bestechend in seiner sprachlichen Klarheit: Klaus-Michael Nix) tastet. Und immer verbreiten sie eine düstere Unbehaglichkeit, die der Tragödie eine stimmungsvolle Folie liefert - wie auch die unaufdringlichen Kostüme von Marie-Theres Cramer und die schlichte Bühnenmusik, die an Film-Soundtracks von Yann Thiersen erinnert. Die Leistung des Schauspiel-Ensembles, das auf matschigem Grund, rutschigen Treppen und nassen Wiesen mit halsbrecherischem Einsatz um und für dieses Stück kämpft, ist bewunderswert. Manfred-Paul Hänig als skurriler Kontrapunkt, Jan Brunhoeber und Tim Olrik Stöneberg mit enorm präsentem Körper-Theater, Paul Steinbach als Reporter und Übersetzer (eine erstaunlich funktionsfähige Idee), Caudia Felix und Sabine Brandauer mit kurzen, effektvollen Auftritten: Man hätte sie alle umarmen mögen.Schade, dass die kluge, durchdachte und raumgreifende Regie sich selbst nicht ganz getraut hat. Einige wenige Mätzchen waren offensichtlich der Auffassung geschuldet, man müsse im Amphitheater partout noch ein bisschen Spektakel, etwa in Gestalt von Motocross-Fahrern, aufbieten. Es lenkte nur ab. Kleines Minus auch, dass einige Akteure den Einsatz von Mikrofonen noch nicht so verinnerlicht hatten, dass sie ihr Dauer-Fortissimo auf die Verstärkung abstimmen konnten. Aber das sind kleine Einwände angesichts einer rundherum festspielwürdigen Produktion. Anerkennender Beifall, mit Bravi für die Hauptakteure durchsetzter Beifall des auf zehn Grad tiefgekühlten Publikums.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort