"Wir hatten wirklich Gänsehaut"

Trier · Georg Friedrich Händels Messias ist berühmt und trotzdem heikel. Das Werk wird zudem belastet von der Tradition der Monumental-Aufführungen. Der Aufführung im Trierer Dom gelang eine perfekte Balance zwischen der ausladenden Wucht dieser Musik und ihrem feinen Filigran.

 1200 Besucher kamen zum Abschluss des Mosel Musikfestivals. Foto: Artur Feller/Dommusik Trier/ Mosel – Musikfestival

1200 Besucher kamen zum Abschluss des Mosel Musikfestivals. Foto: Artur Feller/Dommusik Trier/ Mosel – Musikfestival

Foto: ARTUR FELLER (g_kultur

Trier. Es war ein großer, ein bewegender Moment. Zum berühmten Halleluja aus Händels Messias erheben sich die Besucher im voll besetzten Trierer Dom. 1200 Menschen demonstrieren Verbundenheit mit dem Christentum - eine stumme und doch eindringliche Reverenz. Dirigent Thomas Kiefer gibt diesem bekannten Chor ein deutliches Profil mit. Er scheut dessen Theatralik-Musik nicht und bezieht doch Distanz zu platten Triumphgesten. Obwohl die perfekt geblasenen Trompeten deutliche Akzente setzen - in diesem Halleluja dominiert ein warmer, ein hymnischer Tonfall. Da klingt etwas Archaisches mit, eine Erinnerung an die Einstimmigkeit im Mittelalter. Und zugleich etwas Großes und Umfassendes, die Idee vom Reich Gottes.
Es ist, als hätten sich alle Vorzüge dieser eindrucksvollen Händel-Aufführung in diesem Halleluja konzentriert. Der Trierer Domkapellmeister und seine Assistenten Ulrich Krupp und Christina Elting haben den Domchor und den Kathedraljugendchor Trier exzellent vorbereitet. Beide Chöre formieren sich zu einem Ensemble von heller, leichter, intonationsreiner Klangkultur. Wie geschaffen für ältere Musik und speziell für Händel. Die meist jungen Sängerinnen und Sänger bewältigen die heiklen Koloraturen in Händels Partitur mal mit Anstand und nicht selten mit Bravour. Und immer wieder beeindruckt die Präsenz des Chors bei Einsätzen.
Das Orchester Concerto Köln bringt dazu seinen eigenen, an historischer Interpretationspraxis geschulten Stil ein - markant und beweglich zugleich, und in den zweistimmigen Violinpassagen des Schlusschors schlichtweg makellos.
Und dann die Solisten: Hervorragend in Tongebung wie Sprache der kurzfristig eingesprungene Tilmann Lichdi mit seinem scharf zeichnenden, hellen Tenor. Terry Wey entfaltet seinen Altus nach eher neutralem Beginn zu intensivem, sprachbezogenem Ausdruck. Trotz einiger Höheprobleme - Elisabeth Scholls Sopran bringt einen warmen, lyrischen Tonfall ein. Und ein Bass, der im Mittelteil seiner Trompeten-Arie so viel Lyrik einbringt wie York Felix Speer, der darf an anderer Stelle auch die enorme Klangfülle seines Organs ausbreiten.
Eingängig, aber fraglich


Der Messias klingt eingängig, aber im Detail tun sich bei diesem Werk Fragen auf. Muss es wirklich das ganze Oratorium sein, auch mit den schwachen Sätzen? Wie geht ein Musiker heute mit der belastenden Tradition der Monumental-Aufführungen um? Und auch: Wie viel an historischer Interpretationspraxis verträgt dieses Werk? Mag sein, dass einige Sätze allzu unruhig abliefen. Aber Thomas Kiefer findet auf die Fragen in diesem Werk überzeugende Antworten. Er setzt auf den ganzen Messias ohne Kürzungen und nimmt den Spannungsverlust schwacher Passagen hin. Historische Interpretationspraxis ist bei ihm kein ästhetisches Dogma. Er und sein Ensemble scheuen Gefühle nicht und bringen den weiten Emotionsbereich dieses Oratoriums zum Klingen - Staunen über das Wunder der Geburt, Trauer um Kreuzigung und Tod, schließlich Hoffnung auf Erlösung.
Der Trierer Domkapellmeister hat ein sicheres Gespür entwickelt für Händels perfekte Formgebung mit ihrer bündigen Zusammenfassung der Stimmen gegen Ende eines Satzes. Das macht seine Interpretation energisch und differenziert zugleich. Händels Tonsprache entfaltet ihre Dynamik - jenseits aller akustischen Monumentalität und dennoch ohne historisierende Kargheit. Perfekt! Die Begeisterung schlug hohe Wellen: "Wir hatten wirklich Gänsehaut", sagten zwei Besucherinnen.

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