"Wolle mer 'n roi lasse?"

MAINZ... wie es singt und lacht kann in diesem Jahr zusätzlich noch jubeln. Die närrische Fernsehsitzung aus der nach Düsseldorf und Köln dritten Karnevalshochburg Deutschlands wird am Freitag, 4. Februar, zum 50. Mal übertragen.

"Das ZDF hatte mit der Fernsehfastnachtssitzung ,Mainz bleibt Mainz - wie es singt und lacht‘ eine sehr gute Quote. Gestern Abend haben sich durchschnittlich 8,13 Millionen das Spektakel angeguckt", vermeldete der Internetdienst "Stern Shortnews" am 21. Februar 2004. Und fügte der Nachricht auch gleich einige Kommentare hinzu. "So einen Müll, und das gucken fast zehn Millionen, das kann ich absolut nicht verstehen... Naja bestimmt Quotenfälschung", behauptete ein Anonymos. Und "jimypane" hämte: "Die acht Mio. Zuschauer waren hauptsächlich sicherlich Rentner!" Nur "Quieker" ist voll des Lobes: "Hab es auch geguckt, war echt toll." Die Gretchenfrage "Wie hältst du‘s mit dem Karneval?" teilt(e) die Nation kategorischer als die Mauer (in den Köpfen). Während die Fastnachtsgegner zwischen Altweiberdonnerstag und Aschermittwoch Hals über Kopf in narrenfreie Zonen fliehen, stürzen sich die Helauianer und Alaafasken in gleicher Weise ins jecke Getümmel. Ob das auch dieselben sind, die am Freitag, 4. Februar, ab 20.15 Uhr vor dem Bildschirm sitzen, mit Bierflasche auf dem Couchtisch und Luftschlange um den Hals, um sich Büttenreden anhören, die, je weiter man von Mainz entfernt ist, ohne Untertitel immer unverständlicher werden? Es darf gezweifelt werden. Denn die Fernsehfastnacht - und nicht nur die aus Mainz - ist ein merkwürdig Ding. Der Zuschauer blickt aus seinem aufgeräumten Wohnzimmer in Säle wogenden Übermuts, wo Menschenmassen außer Rand und Band geraten, singen, kreischen und pawlowartig klatschen, sobald die Karnevalsquarte ("Tä-tää, tä-tää, tä-tää!") vom Orchester intoniert wird. Paradoxie eines Mediums: Draußen an den Bildschirmen ist man ganz nah dabei und dennoch Spaßwelten entfernt. Aber gerade das echte Karnevalsfeeling erlebt man natürlich nur mittendrin im Hexenkessel. Selbst wenn man pro Büttenredner eine Flasche leert und pro Ballettauftritt ein Schnäpsken kippt - die Stimmung in der Stube bleibt steril, und die Witze werden auch nicht unbedingt besser. Allerdings wird es einem mit fortschreitender Stunde immer egaler. Der einzige Vorteil der Glotze: Die Kamera zoomt alle naslang auf die üppigen Dekolletés mehr oder weniger faltenfreier Damen, in deren Genuss man vor Ort - in diesem Fall also dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz - natürlich nur dann kommt, wenn man zufällig neben einer sitzt. Und dann ist es den ganzen Abend lang derselbe Ausschnitt. Wie sich überhaupt die Meenzer (Fernseh-)Fassenacht immer schon ziemlich elegant gerierte, was sie vom eher burschikosen Karneval, wie er weiter nördlich am Rhein praktiziert wird, unterscheidet. Ebenso wie - besonders in den frühen Jahren - die um Kabarettniveau bemühte, aber nie erreichte - Politikerschelte, die manche Übertragungen oft lähmend langweilig machte. Inzwischen hat man jedoch auch in Mainz dem blühenden Blödsinn ein Plätzchen eingeräumt und eine etwas massenkompatiblere Melange aus "politisch-literarischem Vortrag, dem typischen Meenzer Kokolores sowie Tanz und Gesang" (SWR) zusammengerührt.Aufstehen zumKampfschunkeln"Rituale - auch die der Fastnacht - geben uns Halt und kanalisieren unsere Emotionen", predigt der Sender in seiner Ankündigung zur Jubelsendung. Von wegen. Gegen Mitternacht kann von Kanalisierung keine Rede mehr sein. Da tanzt ein Herr im Frack schon mal auf dem Tisch, alle winken in die Kameras wie die Teletubbies, und ganze Stuhlreihen erheben sich zum Kampfschunkeln. In solchen Momenten ist man mitunter doch nicht ganz unfroh, den kanalisierten Emotionen ferngeblieben zu sein. Andererseits - ist man mitten drin, ist es einem bis dahin vermutlich ohnehin egal, ob man sich öffentlich-rechtlich zum Narren macht. Und viele verbringen die tollen Tage ohnehin nach der Devise: Lieber kollektiv blau als einsam besoffen. 2005 also zum 50. Mal: Same procedure as every year. Dabei ist das Mainzer Narrenhaus sogar noch älter als das Dinner for One, mehr noch: die älteste regelmäßig wiederkehrende Unterhaltungssendung in der ARD und seit 1973 auch alternierend im ZDF - "weil wir selbstverständlich auch in der Hochburg der Fastnacht verantwortlich und sparsam mit den Gebührengeldern umgehen", klopft sich der in diesem Jahr federführende SWR kostenbewusst auf die Schulter. Und weil - wie eine Zeit lang üblich - zwei Mal Mainzer Karneval im Fernsehen innerhalb einer Session nun wirklich einmal zuviel war. Zum Jubiläum gibt‘s 31 Mainzer Höhepunkte auf DVD von 1966 bis 2004 - insgesamt 220 Minuten und 51 Sekunden. Und die Sendezeit wird garantiert nicht, wie sonst jedes Jahr üblich, überzogen. hpl/joa

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