Wortakrobaten auf der Bühne

In der ganzen Bundesrepublik touren Dichter von Stadt zu Stadt, um sich in Poetry Slams, Dichter-Wettstreiten, zu messen. Das Phänomen, das in den 80er Jahren in Chicago begann, hat auch Trier erfasst. Poetry Slams, bei denen das Publikum per Applaus den besten Dichter ermittelt, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.

Trier. "Um unsere skandinavischen Wurzeln zu ehren, spielen wir den Track Aeki, bei dem ich den Ikea-Katalog rückwärts lese..." Kaum spricht Claas Neumann diese Worte aus, kringelt sich sein Publikum vor Lachen. Denn der Student ist nicht etwa Sänger einer Death-Metal Band, sondern - man mag es kaum glauben - Dichter. Er macht mit beim Trierer Poetry Slam.

Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Poet bei einem guten Glas Wein vor einem still lauschenden Publikum seine Werke präsentierte. Heute messen sich Literaten bei sogenannten Poetry Slams, zu Deutsch etwa Dichterwettstreite. Sie wollen animieren, mit ihrem Publikum interagieren und, natürlich, sich gegenseitig messen. "Es macht einfach Spaß, auf der Bühne zu stehen, die Gedichte vorzutragen und dafür ein direktes Feedback zu erhalten", sagt Claas Neumann aus Essen.

Das Publikum wählt schließlich einen Gewinner aus - entweder per Applaus oder per Notenvergabe. In Themen und Darstellung sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Viele Slammer, also die teilnehmenden Dichter, wählen für ihren Auftritt lustige, leicht verdauliche Gedichte, denn "es ist unheimlich schwierig, mit einem lyrischen Text voller Meta-Ebenen auf der Bühne Erfolg zu haben - er muss ja beim ersten Hören verdaubar sein", sagt Neumann. Trotzdem: Mit kindischen Scherzen haben die Gedichte wenig zu tun, in Qualität und Umsetzung können es viele von ihnen mit professionellen Werken aufnehmen. Oft werden dabei gesellschaftliche Themen wie Arbeitslosigkeit, das Bildungssystem oder Einsamkeit aufgearbeitet.

Phänomen schafft eigene Subkultur



Und auch für ernste, gefühlsbeladene Gedichte ist Platz, meint Slammerin Yazmeen Acikgöz Baker aus Bonn. In ihrem Monolog "Jenny" erzählt sie von der tragischen Geschichte eines sexuell misshandelten Mädchens, das später zur Prostituierten wird. "Für mich ist es wichtig, dass man sagt, was man fühlt, denkt und repräsentiert. Ich will die Leute zum Nachdenken bringen." Gewonnen hat den jüngsten Wettstreit in Trier übrigens der Hamburger Nico Semsrott, der allein im Dezember an elf Slams beteiligt ist.

In den 80er Jahren in Chicago entwickelt, verbreitete sich die Kunstform bis nach Europa. Es gibt offizielle deutschsprachige Meisterschaften und Dutzende von Internetseiten und Foren zum Thema. Das Phänomen hat sich mittlerweile seine eigene Subkultur geschaffen. "Poetry Slams sind kein kommendes Phänomen, sie sind längst da", sagt Kerstin Rubas vom Verein Kultur Raum, der in Trier solche Wettsstreite organisiert - unter anderem auch die Sonderform "Dead or Alive", in der Schauspieler mit Werken verstorbener Dichter im Theater Trier gegen den Nachwuchs antreten. Ihre Ideen holen sich viele Dichter aus dem täglichen Leben. "Ich bin Integrationshelfer an einer Gesamtschule - da fällt einem immer was ein", sagt Frank Martinelli aus Saarbrücken. "Im Prinzip schreibe ich, was mir in den Sinn kommt." Auch Acikgöz-Baker holt sich ihre Anregungen aus dem Alltag. "Etwa 50 Prozent der Werke kommen aus dem wahren Leben." Als Einnahmequelle scheiden Poetry Slams allerdings aus - die Künstler erhalten oft nur die Fahrt- und Übernachtungskosten erstattet. Trotzdem reisen viele von ihnen für die Wettbewerbe durch die ganze Republik. Wieso nimmt man diese Mühe auf sich? "Irgendwann kennt man praktisch jeden in der Szene, egal ob in Nürnberg oder Hamburg", sagt Neumann. Die Veranstaltungen verbinden, und Freundschaften entstehen. "Ich war im Sommer in Berlin auf mehreren Slams und habe viele Leute kennengelernt. Das ist dann einfach schön."

Nächster Poetry Slam in Trier: Samstag, 19. Dezember, ab 20 Uhr im Mergener Hof.

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