Wunden sind zu groß
LOSHEIM. Angélique Kidjo ist nicht nur als Musikerin sehr engagiert. Seit Sommer 2002 kümmert sie sich als Botschafterin des Kinderhilfswerks Unicef um Arme in aller Welt.
Hat sich in den vergangenen Jahren die Hilfe für arme Kinder verbessert?Angélique Kidjo: Wir haben viele Dinge getan, aber es gibt noch viel mehr Dinge, die getan werden müssten. Denn man kann auch in ein paar Jahren nicht Dinge wieder gutmachen, die vielleicht nur an einem Tag zerstört wurden, etwa durch Krieg. Was eine Organisation wie Unicef dann machen kann, ist, ein kleines Pflaster auf eine große Wunde zu legen. Dieses Pflaster bleibt dann vielleicht eine Zeit lang darauf, aber dann fällt es einfach wieder ab. Es muss also mehr Hilfe geben?Kidjo: Ja, denn die Wunde ist zu groß. Man muss sich einfach einmal vorstellen, dass es in Afrika Länder gibt, die durch und durch absolut krank sind. Vor ein paar Wochen gab es die Live 8-Konzerte. War das eine gute Idee von Initiator Bob Geldof?Kidjo: Alles, was die Wahrnehmung Afrikas steigert, ist gut. Je mehr Menschen wissen, was dort passiert, desto weniger kann man es unterlassen, zu helfen. Ich erinnere nur an die Zeit, als Nelson Mandela in Südafrika im Gefängnis saß und die Jugend weltweit sehr viel Druck gemacht hat, um die Apartheid abzuschaffen. Das macht mir Hoffnung. Denn die Jugend der Welt hat jetzt etwas von den Problemen Afrikas mitbekommen. Erhielten die Staatschefs der G 8 Applaus von Ihnen, als sie zusagten, die Entwicklungshilfe zu erhöhen?Kidjo: Nein, denn sie haben in Gleneagles nur ein bisschen über Afrika geredet - mehr nicht. Und wenn diese Politiker mal nach Afrika kommen, dann leben sie in guten Hotels. Dann sehen sie aber nicht den Hunger, sie sehen nicht die Realität der Menschen auf meinem Kontinent. Mit dem Geld beruhigt man sein Gewissen. Aber Geld ist nicht alles, und vor allem: es kommt oft nicht bei denen an, die es brauchen. Es gibt in Afrika sehr viel Korruption und machtbesessene Politiker; das Geld versickert oft in dunklen Kanälen. Da werden vielleicht einmal ein paar schöne Straßen gebaut, aber die brauchen wir nicht. Die Menschen brauchen vor allem genügend zu essen, sie brauchen Krankenhäuser und Schulen. Aber was wir nicht brauchen, sind Leute aus reichen Ländern, die uns sagen, was wir zu tun haben. Und die uns dann wegnehmen, was uns gehört: unser Erdöl, unser Gold, unsere Diamanten, unser Uran. Und die unser Selbstbewusstsein zerstören wollen. Das ist Kapitalismus. Sie sagten einmal, dass es keinen Grund gibt, von "ihr" und "wir" zu sprechen, weil alle Menschen gleich sind. Glauben Sie, dass die jüngere Generation das auch so sieht?Kidjo: Da bin ich mir ziemlich sicher. Die heutige Jugend ist meine Hoffnung für die Zukunft, denn das Internet bringt sie zusammen. Wenn man heute online Kontakt mit anderen Ländern pflegt, dann kommunizieren ganz einfach Menschen miteinander. Und da ist es völlig egal, ob sie weiße, schwarze oder blaue Hautfarbe haben. Es zählt nur der Mensch. Die Fragen stellte TV-Redakteur Stefan W. Lämmle.