Wunderbares Mozart-Wagnis

Mit Mozarts "Jenamy"-Klavierkonzert, KV 271, verabschiedete sich Alfred Brendel in der ausverkauften Philharmonie vom Publikum der Großregion. Am 18. Dezember gibt er mit diesem Werk in Wien das letzte Konzert seiner Karriere. Die Besucher jubelten.

Luxemburg. Alfred Brendel und Mozart, welch wunderbares Verstehen, welch tiefsinniger Gleichklang! Was im Es-Dur-Konzert KV 271 für manch anderen Pianisten nur Spielwerk ist, bei Brendel ist es Ausdruck. Bis ins Detail sind die scheinbar konventionellen Klangfiguren des Soloparts geformt, gestaltet, artikuliert. Nichts indes klingt überpointiert, gewaltsam, angestrengt. Die Musik spricht und fließt zugleich. In den großartigen c-Moll-Mittelsatz spielt sich Brendel immer tiefer hinein, so eindringlich, dass er sacht verhält und David Zinman, der Dirigent des begleitenden Züricher Tonhalle-Orchesters, das Tempo vor der Schlusskadenz vorsichtig wieder anzieht.

Das Menuett, das Mozart völlig überraschend in die Mitte des letzten Satzes gestellt hat, ist bei Brendel keine neckische Reverenz an die höfische Etikette, sondern eine Periode ernsthafter Besinnlichkeit. Und über allem schwebt ein Tonfall von Intimität, der diese Musik ganz nahe an den Hörer rückt.

Alfred Brendel tariert die Elemente dieser Musik sorgfältig aus. Sein Mozart ist ein subtiler Balanceakt. Takt für Takt bleibt spürbar, welches Wagnis eingeht, wer sich mit dieser Klaviermusik einlässt. Vielleicht hätte Brendel in jüngeren Jahren dem revolutionär frühen Solisten-Einsatz, den Mozart kein zweites Mal wagte und den erst Beethoven wieder aufgriff, mehr Nachdruck mitgegeben. Möglich auch, dass ihm der Einstieg ins Finale energischer, pointierter und weniger abgeklärt gelungen wäre. Und bei aller Stilsicherheit und mozartischen Beweglichkeit, bei aller dirigentischen Sorgfalt klingt beim Züricher Tonhalle-Orchester eine Spur sinfonischer Schwerfälligkeit mit, die sich mit dem kammermusikalischen Tonfall Brendels nicht immer vertragen will.

Sensibler, feinfühliger Klangkörper



Dabei ist dieses Orchester, das sich unter David Zinman zu preisgekrönter Prominenz emporgearbeitet hat, ein sensibler, feinfühliger Klangkörper. Den Mangel an letzter Perfektion gleichen die Musiker aus durch Offenheit, Helligkeit und Transparenz des Klangs, durch Genauigkeit und engsten Kontakt zum Dirigenten. Der wiederum erarbeitet mit enormer Sorgfalt den Kern der Musik.

Luciano Berios Orchesterfassung von Boccherinis "Nachtmusik in den Straßen von Madrid" für Streichquartett malt das Bild einer durchziehenden Kapelle und entfaltet eine Räumlichkeit, die in der Zeit-Kunst Musik Ausnahmerang besitzt. Und Mahlers Erste zum Abschluss: David Zinman leuchtet alle Details dieser ungemein reichen Komposition aus und enthüllt dabei ihre planvolle Brüchigkeit. Etwas Dunkles, Bedrohliches begleitet den scheinbar naiven Naturlaut. Die gewaltigen Forte-Passagen im Kopfsatz und im Einstieg zum Finale sind nicht Gipfel, sondern Einbrüche des Schreckens. Das ist nicht der Mahler froher Harmonie, sondern der einer angstvollen Doppelbödigkeit. Im Volkston kündigt sich Unheil an.

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