Zeuge des Grauens

Seine Bilder erschüttern die Welt und erzeugen Widerstand bei denen, die Krieg führen und am Krieg verdienen. James Nachtwey ist gleichermaßen der berühmteste wie umstrittenste Kriegsfotograf unserer Tage. Eine Doppelausstellung zum Kulturjahr würdigt in Luxemburg den Amerikaner.

Luxemburg. "Meine Bilder sind meine Mittel, gegen Gewalt und Elend anzukämpfen und davon Zeugnis abzulegen", hat James Nachtwey vor zwei Jahren im Gespräch mit dem TV bekannt. Seit zwei Jahrzehnten ist der Fotograf unterwegs in den Krisengebieten der Welt. Was diese Zeit an Chaos, Gewalt, Elend und Verzweiflung produziert, hält der freundliche Amerikaner mit dem Hauch Einsamkeit in ergreifenden Bildern fest.

Unermüdlicher Bilderkampf

Die Luxemburger Ausstellung an den beiden Standorten Kulturzentrum Abtei Neumünster und Galerie Clairefontaine bietet als gemeinsames Projekt der beiden Häuser einen umfassenden, eindrucksvollen Überblick über Nachtweys unermüdlichen Bilderkampf. Die nackten Mauern des Wandelgangs der einstigen Abtei mit seinen vergitterten Fenstern sind ein idealer Ort, um das Elend dieser Bilder zu vergegenwärtigen, ihre Schreie zu hören und ihre Toten reden zu machen. Einem fotografischen Tribunal gleicht die weitgehend schwarz-weiße Schau, in der Bilder gleichermaßen Zeugen wie Ankläger sind. "Der Tag ist aber wie die Mitternacht, die Gegenwart ist falsch, das Leben lügt" - Adalbert Chamissos Gedichtzeile fasst Nachtweys Bilder in einen Satz. Ob Afghanistan, Irak, Sudan, Ruanda oder Kosovo: Die Welt ist voller Mord und Hunger, voll seelischer und körperlicher Verwüstung in diesem Weltpanorama des Leids. Immer wieder wird dem einstigen Studenten der Kunstgeschichte die hohe künstlerische Qualität seiner Fotos vorgeworfen. Nachtwey "schöne" das Elend, führen seine Kritiker an. Dabei ist es gerade die Kunst, mit deren Hilfe Nachtwey die Dinge durchschaubar macht. Nachtweys Bilder sind eigentlich Bildnisse, die in der Trivialität kriegerischer Greueltaten, in Schmutz, Blut und Mangel die große menschliche Tragödie offenbaren. Nachtweys Fotokunst macht die stumme Verzweiflung der Opfer hörbar und entlarvt die absurde Anmaßung des Krieges. Die weinenden Mütter, die sterbenden Kinder, die zerstörten Gespensterstädte und unbestatteten Toten seiner Fotos führen eindringlich vor Augen, was die Flut der täglichen Bilddokumente vom weltweiten Massenelend vielfach wegschwemmt: Auch das kollektive Elend bleibt das Elend des einzelnen Menschen. "Ich bin kein Händler oder Lieferant von Bildnachrichten. Meine Fotos verkörpern eine Geisteshaltung", sagt der Fotograf zum Anspruch seiner Arbeit. Zwei Fotos erschüttern besonders. Das Massenkindergrab aus Ruanda, das wie ein mittelalterliches Vanitas-Bild wirkt, und jenes Foto einer Mutter in Somalia, die mit unendlicher Zärtlichkeit ihr totes Kind der Erde wie einer Wiege zurückgibt.

Bis 9. Januar 2008, Centre Culturel de Rencontre Abbaye de Neumünster, täglich 11-18 Uhr außer 25.,26.,29.,30., u.31. Dezember sowie 1. Januar. 28, rue Münster, Telefon 00352-2620521, contact@ccrn.lu Galerie Clairefontaine, Espace 2, Di-Fr 14.30-18.30 Uhr, Sa 10-12 und 14-17 Uhr. 21, rue du St-Esprit, Telefon 00352 472324, galerie.clairefontaine@pt.lu.

Extra

James Nachtwey (TV-Foto: Eva-Maria Reuther) wurde 1948 in Massachusetts, USA, geboren und studierte zunächst Kunstgeschichte und Politologie. Erschüttert vom Vietnamkrieg, entschloss er sich 1972, Fotograf zu werden. Seine erste "Anti-Kriegsreportage" entstand 1981 in Nordirland, wo er die Unruhen in Belfast fotografierte. Von 1986 bis 2001 war Nachtwey Mitglied der berühmten Fotoagentur Magnum, seit 1984 arbeitet er regelmäßig für das Time Magazine und hier zu Lande für die Illustrierte "Stern". Nachtwey lebt in New York, wo er am 11.September 2001 als Augenzeuge den Einsturz des World Trade Center erlebte und mit der Kamera festhielt. Der mehrfach schwer verwundete Fotograf hat sämtliche wichtigen Fotopreise gewonnen. Er ist Ehrenmitglied bedeutender Fotografischer Gesellschaften sowie Ehrendoktor der Kunstakademie von Massachusetts. Der preisgekrönte Film "War Photographer" des Schweizer Filmemachers Christian Frei hat Nachtwey schon zu Lebzeiten zur Legende gemacht. Der Film wird in der Schau gezeigt. (er)

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