Zu Weihnachten der 71. Goldengel

HIMMEROD. Aus dem Klo-ster aktiv an der Welt mitwirken, das will Stephan Reimund Senge seit eh und je. Am 29. März wird der bekannte Zisterzienser-Pater aus Himmerod 70 Jahre alt.

"Einen schöneren Ort als das Kloster kann ich mir nicht vorstellen", sagt er. Seit 45 Jahren lebt Pater Stephan Reimund Senge in der Zisterzienser-Abtei Himmerod. Den Rhythmus seines Tages bestimmen die sieben Chorgebete. Fast noch zur Nacht beginnt für die Mönche früh um halb fünf der Tag mit der Vigil, er endet um halb acht mit der Komplet. Dazwischen liegen nicht nur für Pater Stephan Stunden voll Pflichten und Arbeit. "Ich beobachte alle Taten, die unter der Sonne getan wurden", hat der Mönch, der auch Dichter, Schriftsteller und Verleger ist, in einem seiner frühen Lyrik-Bändchen bekannt. Und wer den hoch gewachsenen Zisterzienser mit dem hellen Blick und dem herzlichen Lachen kennt, weiß, dass der zudem noch sportliche Pater alles andere als weltfern ist.Das Gästehausals Schwelle zur Welt

Seine Schwelle zur Welt ist das Gästehaus des Klosters, für das der Geistliche seit langem verantwortlich ist. Hier betreut er Jugendgruppen, hält Besinnungstage ab und organisiert Wanderungen. Gemeinsam mit den Gästen wird dort im Wortsinn über Gott und die Welt diskutiert. Nebenan in der Torkapelle haben mittlerweile Zehntausende von Besuchern an Pater Stephans Morgenmeditationen teilgenommen. Sie sind inzwischen genauso berühmt wie der Geistliche im schwarz-weißen Habit. Eine überregionale Berühmtheit ist Pater Senge tatsächlich. Das kommt nicht zuletzt von seiner schriftstellerischen Arbeit. Schon als Schüler hatte der gebürtigeHannoveraner Reimund Senge Shakespeare-Sonette übersetzt. Seinen schulischen Leistungen tat das nicht besonders gut. Als "missglückt" bezeichnet er rückblickend seine Schulkarriere. Doch dann kam alles anders. Als beim Besuch mit einer Jugendgruppe in den 50er Jahren im Himmeroder Kloster "ein Zimmer frei war", griff der angehende geistliche Dichter zu. Abt Vitus erwies sich als echter Vater- Abt und überzeugte den jungen Mann zunächst, sein Abitur nachzumachen und Theologie zu studieren. 1962 legte Reimund Senge sein Mönchsgelübde ab. Von nun an ist er Bruder Stephan. Zwei Jahre später wird er zum Priester geweiht. Das Dichten hatte er nie aufgegeben. Von Georg Trakl hat er es gelernt und von Paul Celan, die bis heute zu seinen Lieblingsdichtern zählen. Große Verehrung empfindet er für Hilde Domin. Immer wieder war die große alte Dame der deutschen Lyrik in Himmerod zu Gast. 1974 erschienen die ersten Himmeroder Drucke. Längst lassen sich die Lyrik- und Erzählbände des Paters nicht mehr an einer Hand abzählen. Gerade ist wieder ein neuer Gedichtband mit dem Titel "Die dunkle Hand in der meinen" erschienen. Der neue Sammelband "Ein Lächeln so etwa um sechs", fasst Lyrik und Prosa der letzten Jahrzehnte zusammen. "Lyrik ist für mich die dichteste Form meine Eindrücke darzustellen", bekennt der Pater. In seiner stillen Mönchszelle, die nach seinen Worten voll von Büchern und beschriebenem Papier ist und deren vorhanglose Fenster auf das Tal hinausgehen, fasst Pater Stephan in Worte, was er erfährt, in der Natur, auf seinen Fahrten oder tief im Innern seiner Gefühlswelt.Alljährlich mehrere Wochen im Sudan

Um "die kleinen Leute" geht es in seinen Erzählungen, etwa in den Geschichten vom "Kleinen Mann und der kleinen Frau". Illustriert werden Senges Bücher seit Jahren von der Wittlicher Graphikerin Ursula Hess. Nicht zuletzt hat er jahrelang für den TV geschrieben. Neuerdings hat sich Stephan Senges Erfahrungswelt entscheidend erweitert. Alljährlich verbringt er mehrere Wochen im Sudan, wo er eine Diözese und deren Hilfsprojekte betreut. Die Naturnähe dort, die Menschen, die Wissbegierde und der Fleiß der Jugendlichen beeindrucken ihn tief. Mit jungen Menschen hat der engagierte Pater auch in Himmerod immer wieder zu tun. Bigotterie und Scheinheiligkeit sind ihm ein Kreuz. "Spießer! raune ich in den Spiegel und zerre mich aus den Fugen", hat er einmal gegen den eigenen alltäglichen Trott gedichtet. Was er wohl nach 70 mal Weihnachten erwartet? "Im Müll der verfärbte Goldengel. Ich fertige einen neuen zum 71. Mal", heißt es in einem neuen Gedicht.

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