Zu fremd für tragische Erschütterungen

TRIER. Es gehört schon einige Courage dazu, Orffs spröde "Antigonae" auf den Spielplan der Antikenfestspiele zu setzen. Heinz Lukas-Kindermann hat sich zum Abschluss seiner Arbeit in Trier ganz auf seine künstlerische Mission besonnen.

Respekt, Respekt! Heinz Lukas-Kindermann hätte sich am Ende seiner Trierer Intendanz mit großer Oper ein Denkmal setzen können. Das tat er nicht, sondern blieb seiner künstlerischen Passion treu und brachte Orffs "Antigonae" auf die Bühne - wohl wissend, dass das spröde Experiment aus den Nachkriegsjahren den Akteuren schwer lösbare Probleme aufgibt - und der Regie auch.Römische Antike und moderne Technik

So ist es tatsächlich. Im Bühnenbild gehen Antike und moderne Technik eine seltsame Liaison ein. Seitlich stehen Scheinwerfer und ein Monitor, vorne auf der Bühne spielt das Orchester, das nach Orffs Anweisungen eigentlich unsichtbar sein soll, und ins eindrucksvolle Rund der Kaiserthermen hat Ausstatter Thomas Pekny einen Glas- und Metallaufbau gestellt. Der umgibt die kreisförmige Spielfläche mit seelenlosem Futurismus. Das Ergebnis ist ein stilistisches Sammelsurium, dem man kaum etwas entnehmen kann - jedenfalls nicht die Atmosphäre einer antiken Tragödie. Auch musikalisch umschiffte man die Klippen von Stück und Standort nicht immer mit Glück. Die Münchner Symphoniker waren unter Heiko Mathias Försters präziser Leitung fast ausschließlich mit den Noten beschäftigt und setzten die zahllosen Ausdrucks-Anweisungen der Partitur nicht um. In der reduzierten Orchsterbesetzung und dazu noch unter freiem Himmel geht zudem die Schlagkraft und Körperhaftigkeit des Klangs verloren. Der Chor (Einstudierung Eckhard Wagner) ist eine Tragödie für sich. Richtige Töne sind Glückssache, und klanglich bleibt von Homogenität nicht die Spur. Wie gut, dass Chorführer Horst Lorig mit Präzision, perfekter Silben-Betonung und dramatischer Intensität glänzt. Überhaupt: Die Akteure reißen allerhand heraus, und die Personenführung des Regisseurs Lukas-Kindermann tut das gleichfalls. Glücklicherweise geht es bei der "Antigonae" vor allem um Handlung. Carl Orff wollte keine Oper schreiben, sondern ein Drama neu fassen. Unter diesem Aspekt schneidet die Trierer Produktion so schlecht nicht ab. Der stilistisch missglückte Bühnenaufbau hat nämlich auch zwei Vorteile: Der Schall strahlt nach vorne ab, und die Handlung kann auf mehreren Ebenen stattfinden. Das nutzt Lukas-Kindermann unauffällig, aber effizient. Er erweitert den Spiel-Raum in die dritte Dimension - für Begegnungen, Konfrontationen, Abstand und Distanzierung. Und die Akteure, sie singen und spielen sich in das schwierige Stück hinein. Eher blass, wenn auch sängerisch vorzüglich die Ismene von Eva Maria Günschmann und Susanne Rischs Eurydice. Udo Holdorfs atemlos berichtender, stellenweise gezielt komischer Wächter und der klanglich vorzügliche Peter Svensson als Kreon-Sohn Haemon stehen ganz auf der Höhe dieses großen Dramas. Und Gail Gilmore: Schritt für Schritt entwickelt sie die große, tragische Persönlichkeit der Titelrolle. Ausstattung und Personenführung heben sie vorsichtig von den anderen Figuren ab. Antigonae, die Gezeichnete, die Ausgestoßene, die Unbeugsame, die mit wilden, bacchantischen Rhythmen in den Tod tanzt.Ein Rausch von Eigensinn



Carl Orff hat vom vierten Akt an ganz sacht eine Steigerung auskomponiert. Der Orchestersatz wird dichter, die Sängerpartien lösen sich vom monotonen Rezitieren. Peter Koppelmanns Tiresias verkündet mit bemerkenswerter Stimm-Beweglichkeit den Willen der Götter. Urban Malmbergs Kreon hat an sich schon eine Riesenpartie hinter sich, hat mit enormer Ausdrucksvielfalt und Bühnenpräsenz brilliert, hat sich in einen Rausch von Eigensinn gesteigert. Als Tiresias warnt, ist es schon zu spät. Der Bote Andreas Daum teilt es erregt mit: Sohn und Ehefrau sind tot. Und Malmberg trifft genau den verzweifelt-resignativen Tonfall des einsamen Herrschers. Kam das Stück in seiner tragischen Größe an? Das Publikum spaltete sich am Ende in eine zustimmende und eine gelangweilte Fraktion. Die Katharsis, die reinigende Erschütterung am Schluss blieb offensichtlich aus. Dafür war das Wetter wahrscheinlich zu kühl und das Stück zu fremd. Weitere Vorstellungen am 26. und 27. Juni, T. 0651/718-1818.

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