Zuschauer, bitte ausziehen!

SAARBRÜCKEN. Wirklich neu an den Perspectives Nouvelles ist das Datum. Nicht mehr im Mai, sondern im Juni (6. bis 14.) findet das Saarbrücker Traditions-Festival statt.

 Auf den ersten Blick kaum zu erkennen, dass es ein Shakespeare ist: Szene aus "Hamlet" in der Inszenierung von Nicolas Stemann.Foto: Thomas Aurin

Auf den ersten Blick kaum zu erkennen, dass es ein Shakespeare ist: Szene aus "Hamlet" in der Inszenierung von Nicolas Stemann.Foto: Thomas Aurin

DenBegriff Fortune kann man mit dem Saarbrücker Theater-FestivalPerspectives nun wirklich nicht in Verbindung bringen. AufKonsolidierungs-Kurs wusste man das ewige Sorgenkind der hiesigenFestival-Szene endlich 2002. Finanziell kam der Durchbruch miteiner erstmals gemeinsamenSaarbrücker-saarländisch-lothringischen Trägerschaft und derdamit einher gehenden Etat-Aufstockung auf rund 820 000 Euro.Konzeptionell vollzog sich der Fortschritt durch die Ausrichtungauf eine zweisprachige deutsch-französische Programm-Linie, undpersonell schien mit dem Forbacher Carreau-Chef Laurent Brunnerfür hohes Niveau, Frische und Kontinuität gesorgt. Doch dannwurde er im Juni 2002 nach Paris ins Kulturministerium berufen,und somit werden die Perspectives 2003 seine zweiten und letztensein. Man hatte sich die Spielplan-Konferenz im Saarland Museum

für die Hiobs-Botschaft aufgehoben - zugleich nutzten Staatsse-kretärin Monika Beck und Bernard Hertzog (Vize-Präsident des Conseil Géneral de Moselle) das Forum für einen Demonstrations-Zug durch das saarländisch-lothringische Freundschafts-Protokoll. Beteuerungen, Artigkeiten - so viel politischer Wille zur Zusammenarbeit war nie. Dazu passte Becks "persönlicher" Wunsch, dass der Brunner-Nachfolger einer "mit französischem Hintergrund" sein sollte.

Der Punkt müsste freilich längst geklärt sein. Seit Juni 2002 steht fest, dass an eine Fortführung von Brunners Saar-Engagement angesichts der Belastung durch den Pariser Job nicht zu denken ist. Für sein nochmaliges Mitwirken 2003 half nur, dass Brunner seine zweiten Perspectives bereits voraus geplant hatte. Klaus Schön (ehemals "Schichtwechsel") wurde engagiert, um das Programm als Organisations-Leiter umzusetzen.

Die große Namen wie Gréco, Brook und Ostermeier, die 2002 für Glanz und Werbe-Schub-Kraft sorgten, fehlen. Auch auf eine alternative Spielstätte wie das Saarbrücker Stadtbad wird verzichtet. Der Festival-Club zieht wieder zurück ins Altbewährte, in die Garage. Dort läuft jedoch ein Geselligkeits-Konzert- und Disco-Programm. Auch an einem Zirkus, früher ein unverzichtbarer Perspectives-Programm-Punkt, kam Brunner wohl doch nicht mehr vorbei. Er holte Philippe Decouflés "Cyrk 13", eine Inszenierung des geschätzten Tanztheater-Mannes mit der Abschluss-Klasse der Zirkus-Schule von Chalons-en-Champagne. Decouflé ist in Frankreich seit der Eröffnungs-Zeremonien der olympischen Winterspiele von Albertsville ein überaus populärer Mann. Auf den Saarterrassen wird der "Cyrk 13" Quartier nehmen.

Überraschungen birgt das Programm 2003 keine, was kein Fehler ist. In Brunners Rede tauchten gestern die bekannten Leitbegriffe wie "Jugend", "Modernität" und "Provokation" auf, und die Namensliste der Engagierten spiegelt Brunners Strategie, über das Carreau langlebige Austausch- und Koproduktions-Partnerschaften zu pflegen. So trifft man denn (schon?) wieder auf den Tanz-Interaktivisten Felix Ruckert ("Secret service"), einen Dauer-Gast des Carreau, auch die Berliner Schaubühne und Tänzer der herausragenden Ballets C. de la B. (Alain Platel) sind dabei, in einer gemeinsamen Arbeit: "D'Avant" ist ein Stück, das in Berlin Furore machte. Darüber hinaus hat Brunner einen sicher überragenden deutschen "Hamlet" (Regie: Niclas Stemann) eingeladen. Stemann zeigte 2002 seinen "Werthe" bei den Perspectives, nun kehrt der Hauptdarsteller als Hamlet wieder. Zu spät, könnte man sagen. Denn Brooks "Hamlet" war 2002 zu sehen. Und 2003 fehlt dem Hannoveraner Gastspiel, einer Spitzen-Inszenierung, die 2002 zum Berliner Theatertreffen eingeladen war, nun ganz das französische Pendant. Aber dafür entschädigen wohl die typisch Brunnerschen Spezialitäten.

Da wird es eine aufregende Darbietung von Bachs H-Moll-Messe geben - von Schauspielern, also weniger musikalisch denn atmosphärisch. Ein Film-Projekt ("Le Jardin") wird sich in eine Live-Performance verwandeln, ein Auto-Stau von 22 Wagen in Spicheren ("Embouteillage") bietet den Zuschauern die Chance auf 22 Klein-Vorführungen; ein wahrlich ungewöhnlicher Ein- und Ausstiegs-Corso dürfte das werden. Und natürlich gibt es wieder die intime Begegnung mit nackter Haut ("Chez moi dans ton coeur"), auch mit der eigenen. Bei Felix Ruckert sollen die Zuschauer sich ausziehen. Frei ab 18 Jahren.

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