… und am Ende bleiben nur vergilbte Briefe

Trier · "Heute Abend Lola Blau" im Kasino am Kornmarkt ist ein Abend für Carin Filipcic.

 Carin Filipcic wienert authentisch. Fotos: ArtEO

Carin Filipcic wienert authentisch. Fotos: ArtEO

Foto: (g_kultur

Trier Schauspielerinnen müssten vor Georg Kreisler auf die Knie fallen, weil er ihnen ein Stück wie "Heute Abend Lola Blau" geschrieben hat, das Ein-Frau-Stück über eine naive junge jüdische Sängerin, die 1938 ihre Heimat verlassen muss und in den USA erfolgreich wird. Gut möglich aber auch, dass Georg Kreisler vor Carin Filipcic auf die Knie gefallen wäre, hätte er sie im Kasino am Kornmarkt erleben können.
Klingt pathetisch? Ist es auch. Aber passt schon. Erstens ist Filipcic Wienerin wie der Autor, beherrscht also den typischen Schmäh und die sprichwörtliche Granteligkeit der austriakischen Hauptstädter. Zweitens verfügt sie über ein präzises Timing für Satire, Sarkasmus, Spott und wohldosiertes Selbstmitleid. Und drittens legt sie eine temperamentvolle, unbändige, schweißtreibende, raumgreifende Spielfreude an den Tag beziehungsweise in den anderthalbstündigen Abend, an dem die Stationen einer ebenso triumphalen wie beklagenswerten Künstlerkarriere vorm Auge des Zuschauers im Zeitraffer vorbeirauschen. Filipcic singt und spricht perfekt fünf Sprachen: Deutsch, Englisch, Wienerisch, Berlinerisch und Jiddisch, wobei sie jedes Idiom wie ihre Muttersprache beherrscht.
Die Schauspielerin ist bei der Regisseurin Isabella Gregor in besten Händen: Diese hat sich für ein Theater der Reduktionen entschieden. Mit kleinen und kleinsten Mitteln lässt sie Vergangenheit Gegenwart werden und umgekehrt. Dafür bedarf es nur einer Perücke, die aus der gealterten lebensweisen Lola die naive Debütantin Lola macht, die "sich gar nicht für Politik interessiert", wie sie ihrem Freund Leo am Telefon erzählt, der kurz vorm Abtransport nach Dachau steht. Wimpel auf dem Klavier, mal Schweizer Kreuz, mal Stars and Stripes, mal österreichisches Rot-Weiß-Rot, reichen aus für eine Ortsbestimmung.
Die Wirklichkeit außerhalb von Lolas Traum- und Erinnerungswelt dringt nur als Tonbandeinspielung in ihr Leben, die eleganter werdenden Kostüme deuten auf den Aufstieg der Sängerin hin, die auf dem Höhepunkt der Karriere in Amerika auf dem alkoholvernebelten Tiefpunkt ihres Lebens angekommen ist. Hier ergänzt Gregor Kreislers Musik um einen Song von Harold Arlen: Sein "Come Rain or come shine" wird in Filipcic‘ anrührender Interpretation zur verzweifelten Überlebenshymne eines erfolgreichen, aber einsamen Stars. Und hier wie auch bei allen Kreisler-Chansons erweist sich Dean Wilmington, dritter Weggefährte auf der nostalgischen Reise, als einfühlsamer, präziser Klavierbegleiter, der souverän zwischen Noten von Cole Porter, Irving Berlin, den beiden Georgs (Gershwin und Kreisler) sowie einigen (Re-)Prisen Mozart und Strauß (Johann) mäandert und für die passende musikalische Atmosphäre sorgt, bisweilen auch als Stichwort- und Requisitenlieferant tätig wird.
Und als Lola nach dem Krieg nach Wien zurückkehrt, muss sie feststellen, dass sich im Grunde nichts geändert hat: "Wien bleibt Wien / Das ist grad das Schöne dran" sang spöttisch Kreisler, der für den Rest seines Lebens ebenso heimatlos geblieben ist wie sein Geschöpf, und dieses sekundiert ihm als "Frau Schmidt", die immer noch gegen "Juden und Neger" ist und genau weiß: "Frau Schmidt kann im Grunde nichts dafür/Das halbe Volk steht hinter ihr".
Am Ende sitzt die gealterte Lola vor dem Koffer ihrer Erinnerungen, kramt in alten Briefen und erlaubt sich eine Prise zu Herzen gehender Sentimentalität: "Heute fand ich alte Tränen/ Wusste nicht, dass wir sie hatten (…) Ich wein' dir ein paar neue (…) dir ganz allein, du bist sie wert." Ein bisschen Kitsch am Ende eines Lebens - no na, auch das passt schon!
Kaum war der letzte Ton verklungen, hielt es das Kasino-Publikum nicht länger auf den Stühlen und jubelte dem Trio minutenlang zu. Gut möglich, dass die nächsten sieben Vorstellungen (am 22., 23. 28., 29., 30. Mai sowie 6. und 7. Juni) nicht ausreichen, damit sich hinterher keiner beklagen muss, er hätte diese "Lola Blau" - leider - nicht erleben können.

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