50 Jahre Stadttheater am Augustinerhof - Sieben Intendanten - Viele denkwürdige Momente

Trier · Ein halbes Jahrhundert voller Höhen und Hektik, Kämpfe und Chaos, Jubel und Jammer, Geldnot und Geizhälsen, Zicken und Zocker, Kräche und Kuscheln, Buhs und Beifall, Absagen, Änderungen, Ausfällen, Blut, Schweiß und Tränen: Theater eben. In Trier steht die Zentrale des Irrsinns seit 50 Jahren am Augustinerhof. Lasst die Champagnerkorken knallen!

Trier. Chronik der (manchmal aus dem Ruder) laufenden Ereignisse:

Am 27. Juni 1961 beschließt die Stadtverwaltung einen Neubau am Augustinerhof. Die Bausumme: 10 Millionen Mark. 50 Prozent davon kommen vom Land Rheinland-Pfalz. Rudolf Meyer ist der Intendant, der seit einem Jahr in Trier ist und bis 1968 bleiben wird. In der Mitte seiner Amtszeit muss er also umziehen - vom Bischof-Korum-Haus in der Rindertanzstraße an den neuen Standort.
Am 27. September 1964 findet die feierliche Eröffnung statt. Erste Produktion an der neuen Spielstätte: Beethovens "Fidelio", inszeniert vom Hausherrn persönlich.
Kaum im neuen Haus, schon gibt\'s finanziellen Stress: Der Landeszuschuss in Höhe von 140 000 Mark erreicht nicht mehr die üblichen 50 Prozent, um den Theaterbetrieb in bewährter Form zu garantieren. Prompt wird die Frage gestellt: Kann das Drei-Sparten-Theater erhalten bleiben?
Ab der der Spielzeit 1965/66 holt Intendant Meyer einen 25-jährigen Dramaturgen und Schauspielregisseur ans Haus, der bereits in Krefeld, Wien und Heidelberg gearbeitet hat. Hans Neuenfels hält es jedoch nicht lange an der Mosel: Nachdem er in der Innenstadt Handzettel verteilt, mit denen er die Trierer zum Abriss ihres Domes auffordert beziehungsweise Geistliche befragt "Warum schänden Sie nicht kleine Mädchen?" - im Nachhinein betrachtet eine geradezu prophetische Frage -, wird er von seinem Chef, der von dem Flugblatt nichts gewusst haben will, gefeuert. Neuenfels kommentiert den Rausschmiss: "Ich wollte nur mal gegen die Lethargie der Leute hier ankämpfen. Die Trierer Spießbürger haben mich gründlich missverstanden."
Worauf Stadtpressechef Walter Degenhardt als Erklärung nachschiebt, die Lethargie seiner Mitbürger sei "klimatisch bedingt, denn das feuchte, drückende Wetter macht uns hier allen zu schaffen".
Und wieder Geldprobleme: In einem Stadtratsbeschluss vom 3. Oktober 1967 heißt es: "Ab der Spielzeit 1968/1969 wird der Theaterbetrieb in allen drei Sparten in verkleinertem Rahmen und nach Umwandlung des Kultur-Orchesters in ein Theater-Orchester (36 Mitglieder) weitergeführt." Damit spart die Stadt eine halbe Million D-Mark. Der Etat liegt nun bei 1,55 Millionen D-Mark gegenüber bisher 2,1 Millionen Mark. Die Eintrittspreise werden nicht erhöht.

Zu Beginn der Spielzeit 1968/69 zieht Walter Pohl ins Intendantenbüro. Er träumt von der Wiederbelebung der "alten Trierer Freilichtspieltradition". Erst einmal allerdings bleibt er inhäusig - unter anderem mit einer Produktion von Kafkas "Bericht für eine Akademie". In der Rolle des Affen: Jörg Hube, den sein erstes Engagement nach der Ausbildung an die Mosel führt. Zwei Jahre später kann Pohl ins Freie: Es gibt eine "Norma" vor den Kaiserthermen, einen "Sommernachtstraum" im Innenhof des Kurfürstlichen Palais und eine Orchesterserenade im Freihof des Irminenklosters.
Pohl holt auch eine gebürtige Triererin ans Theater: Die Schlagersängerin Gitta Lind spielt die Titelrolle in dem Musical "Irma la Douce" von Marguérite Monnot. Und ein Hauch von großer Welt weht ebenfalls durch die Kulissen: Im Juni 1969 ist die amerikanische (Mezzo-)So pranistin Grace Bumbry als Lady Macbeth in Verdis "Macbeth" am Augustinerhof zu sehen. Bumbry hatte ihren Durchbruch 1961 bei den Bayreuther Festspielen als "Tannhäusers" Venus und galt seitdem als "Schwarze Venus". Seit 1965 singt sie regelmäßig an der Met in New York.
Weniger schön: Im Gagenetat werden 137 000 Mark gestrichen; die Vorstellungen von 280 auf 220 reduziert. Von 51 Solisten bleiben noch 28.
Am 17. September 1969 feiert das Städtische Orchester Trier sein 50-jähriges Bestehen unter seinem Musikdirektor Francis Travis.

Auf Walter Pohl folgt Manfred Mützel. 1975/76 tritt er sein Amt an, und er bleibt fünf Jahre. Ihm gelingt ein Coup der besonderen Art, worüber Die Zeit am 21. Januar 1977 süffisant berichtet: "Triers Intendant, Manfred Mützel, hatte in Teheran auf Einladung der Persischen Regierung ,aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Herrscherhauses Pawlewi\' Beethovens ,Fidelio\' inszeniert und damit auch das Entzücken der iranischen Fachkritik erregt. Pressestimmen: ,Trotz der kurzen Probenzeit war die Aufführung lobenswert gelungen.\' ... ,Ein schönes Beispiel der kulturellen Beziehungen zwischen Iran und Deutschland. Der junge Regisseur Manfred Mützel zeigte die Befreiung durch die Liebe aus einer, neuen Sicht. Mützel selbst ist ein 33-jähriges Wunderkind ..."
... das auch für Trier einiges herausschlägt: Am 26. Oktober 1978 beschließt der Stadtrat die Aufstockung des Orchesters von 36 auf 48 Planstellen, gleichzeitig erfolgt seine Höherstufung in die (unterste) Tarifklasse D. Außerdem werden Chor und Ballett in die Gagenklasse 3 befördert, was zu Mehrkosten von insgesamt 562 000 Euro im Jahr 1979 führt.

1991 wechselt Rudolf Stromberg die Bühne von Augsburg nach Trier. ln einem TV-Interview spricht er Jahre nach seiner Amtszeit von den Aufgaben, die einen in diesem Job erwarten: "Man muss zunächst versuchen, die Erwartungen des Theaterträgers zu erfüllen. Dieser wünscht sich vom Intendanten innovative Ideen, Konzepte, Pläne und Projekte. Dazu hat man ihn schließlich berufen. Nicht zu vergessen hohe Besucherzahlen und eine überregionale Ausstrahlung des Theaters. (...) Was der Intendant nicht hat, ist eine Lobby. Der Intendant ist fremd in der Stadt, und wenn es um die Umsetzung von Projekten geht, stellen Politiker die Ohren auf Durchzug. Da beginnt manche Sparakrobatik, nicht nur in der Kulturpolitik, aber dort am liebsten." Und was die vielbeschworene Macht des Intendanten angeht, zieht Stromberg ein ernüchterndes Fazit: "Es bleibt eine Gratwanderung zwischen Macht und Ohnmacht. Was man früher als Regisseur von Intendanten erwartet und oft erhalten hat, muss man - nun selber Intendant - für andere schaffen: dem Team und auch den Gästen im Haus den Weg freischaufeln." Und zum Schluss einleiser Tadel für den Fragesteller: "Mit dem Begriff ,Macht\' ist die Aufgabe des Intendanten nicht nur ungenau, sondern fahrlässig beschrieben: Es geht um die künstlerische Verantwortung, um Planung, Disposition, wirtschaftliche Übersicht und auch um List im Umgang mit Rechtsträgern und Medien sowie, wohldosiert, mit dem Publikum."

"Die Tuchfabrik wird stärker als bisher in das Angebot aufgenommen. Zwei Produktionen des Sprechtheaters und eine des Musiktheaters werden ausschließlich im großen Theatersaal der Tuchfabrik gespielt", verkündet Reinhard Petersen bei seinem Antritt als neuer Chef ab der Spielzeit 1991/92. Seine Pläne bleiben jedoch in der Schublade - und die Oper in der Tuchfabrik ein frommer Wunsch. Seit 1986 ist Petersen bereits Generalmusikdirektor am Augustinerhof; fünf Jahre später übernimmt er nun beide Posten in Generalunion.
Im Oktober 1987 wird im Theater Trier mit einem Festakt der Richard-Wagner-Verband gegründet.

1995/1996 beginnt die Ära Heinz Lukas-Kindermann. Der Österreicher war zuvor Oberspielleiter am Theater Dortmund und übernimmt, ohne ein eigenes Ensemble, das er hätte mit nach Trier bringen können, das gesamte künstlerische Personal. Die Kontinuität der Theaterarbeit ist mithin gewährleistet. Aber Lukas-Kindermann hat große Pläne, von denen ihn selbst der hartnäckigste Widerstand seitens der Stadt nicht abbringen kann: In Triers Theatergeschichte wird er als der Begründer der Antikenfestspiele eingehen. Außerdem frischt er den Spielplan mit selten aufgeführten Werken auf, für die er die Reihe "Unbekannte Opern" ins Leben ruft ("Sarema" von Alexander Zemlinsky, "Blaubart" und "Die Rheinnixen" von Jacques Offenbach). Damit nicht genug: Er vergibt zahlreiche Auftragswerke, die in Trier uraufgeführt werden ("Die Glasmenagerie" von Antonio Bibalo, "Die unendliche Geschichte" von Siegfried Matthus) und bringt damit sein Haus bundesweit und grenzüberschreitend in die Presse. Zudem holt er Weltstars paketweise nach Trier: René Kollo, Anja Silja, Hildegard Behrens, Edda Moser, Hanna Schygulla, Elke Sommer, Peter Ustinov, Gitte Haenning ...

Gerhard Weber ist seit der Saison 2004/05 an der Mosel. Mit seinem letzten Amtsjahr geht das Theatergebäude in sein 50. Jubiläum - und eine ungewisse Zukunft, was die Örtlichkeit angeht. Ob das Haus seine zweite Jahrhunderthälfte ebenfalls am Augustinerhof erlebt, ist derzeit vollkommen ungewiss. Weber kann sich zugutehalten, das Schiff durch stürmische Zeiten gesteuert zu haben - und der Rückenwind, den "sein" Publikum entfacht, bläst stark: Als das System Drei-Sparten-Haus von der Stadt und theaterfernen Unternehmensberatern wieder einmal auf den Prüfstand gestellt wird, gellt ein Schrei der Entrüstung durch Trier und Umgebung. Mehr als 42 000 Unterstützer geben ihre Unterschrift für den Erhalt des Hauses in seiner jetzigen Konstellation.
Die gebündelten Stimmzettel übergibt Weber an Kulturdezernent Thomas Egger, der still und leise und ganz klein beigibt ... Sieg auf der ganzen Linie für Weber und sein Haus!

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