Alles, nur kein Zuckerwasser

Luxemburg · Musiktheater ohne peinlichen Plüsch, aber auch ohne modernistische Mätzchen, stringent erzählt, mit klaren Linien, nahe an der Musik: Filmstar Christoph Waltz überrascht bei seinem Debüt als Opernregisseur mit einer reifen Leistung. Auch dank einer Besetzung auf höchstem Niveau, die das Publikum im Grand Théâtre jubeln lässt.

 Liebe unter Beobachtung: Sophie (Christiane Karg, links) und Octavian (Stella Doufexis). Im Hintergrund: Guy de Mey und Ezgi Kutlu. Foto: Annemie Augustijns

Liebe unter Beobachtung: Sophie (Christiane Karg, links) und Octavian (Stella Doufexis). Im Hintergrund: Guy de Mey und Ezgi Kutlu. Foto: Annemie Augustijns

Luxemburg. Der "Rosenkavalier" von Richard Strauss gehört wie allenfalls noch Beethovens "Fidelio" zum Kanon deutschen Kulturgutes, Abteilung Musiktheater. Kein Wunder also, dass gefühlt die Hälfte des Publikums im ausverkauften Grand Théâtre aus der Trierer Ecke stammt.
Die Geschichte von der hochadligen Feldmarschallsgattin, die sich mit Mitte 30 den halb so alten Grafensprössling Octavian als Liebhaber zulegt, ihn dann aber freiwillig ziehen lässt, als er sich in eine Gleichaltrige verliebt, ist eine Melange diverser Elemente: Wiener Schmäh, Lebens-Philosophie, Verwechslungskomödie, Porträt einer hierarchischen Feudalgesellschaft.
Klare Linien statt Zuckerwasser


Da wird, wenn man nicht aufpasst, schnell "Zuckerwasser" draus, wie es der Dirigent Otto Klemperer einst bissig formulierte. Nichts davon in Luxemburg, weder szenisch noch musikalisch. Christoph Waltz erzählt in einem strengen, völlig schnörkellosen Ambiente (Bühne: Annette Murschetz) präzise und plausibel die Geschichte vom Finden einer Liebe unter denkbar schwierigen Bedingungen. Octavian soll auf Bitte seiner Feldmarschallin im Auftrag des ungehobelten, ältlichen Verwandten Ochs von Lerchenau dessen feierlichen Brautwerber um die junge Sophie spielen - und verliebt sich selbst in das Mädchen. Mit List und Tücke setzen sie unter den Augen einer voyeuristischen Hofgesellschaft ihre Beziehung durch.
Waltz liebt seine Figuren, schenkt ihnen Glaubwürdigkeit und Charakterzüge, die unter der Oberfläche wurzeln. Zauberhaft, wie er die Befangenheit beim ersten Treffen des Liebespaars einfängt, wie er die Marschallin zu ihren Erkenntnissen über Zeit und Vergänglichkeit führt. Dafür braucht man freilich auch die besten Singschauspieler, die auf den Bühnen dieser Welt zu haben sind. Wie Camilla Nylund, deren Marschallin anrührend intoniert, mit runden Bögen, makellos und gänzlich ohne das bei Strauss in den Höhenlagen stets dräuende Gekeife. Eine Wohltat: ihre Wortverständlichkeit.
Die Darstellungskunst von Stella Doufexis als Octavian verdient womöglich noch mehr Bewunderung. Denn sie kann an diesem Abend wegen einer schweren Erkältung nicht singen, wird stimmlich von der vorzüglichen, gesanglich lebhaft gestaltenden Michaela Selinger "gedoubelt". Und doch spielt Doufexis (45, mit dem aus Trier stammenden Komponisten Christian Jost verheiratet) den 17-jährigen Jüngling rundherum überzeugend, gerade im Zusammenwirken mit Christiane Karg, deren Sophie auch höchsten Erwartungen standhält.
Auch kleine Rollen gut besetzt


Albert Pesendorfers Ochs auf Lerchenau ist keine harmlos-deftige Karikatur, sondern ein gefährlicher, frauenverachtender, die Arroganz seines Adelsstandes exerzierender Möchtegernbräutigam - und ein flexibler Prachtbass obendrein. So wie auch die kleineren Rollen durchweg angemessen besetzt sind.
Die Luxemburger Philharmoniker sind an diesem Abend eine Wucht. Die alte These, dass die Leistung dieses Orchesters mehr als die anderer Klangkörper davon abhängt, wer am Pult steht, scheint sich wieder einmal zu bestätigen. Stefan Soltesz, der begnadete Strauss-Dirigent, trimmt die OPL-Truppe von der entfesselten Ouvertüre bis zum fulminanten Schluss vier Stunden lang auf Hochspannung. Da ist nix mit Viennoiserie-Zierat und Beisel-Gemütlichkeit. Stattdessen hört man den Furor der Vorgängerwerke "Salome" und "Elektra" noch saftig heraus. Wo Walzer draufsteht, ist immer auch Ironie mit drin, und zwar nicht von der nett-augenzwinkernden, sondern von der verfremdenden, irritierenden Sorte. An diesem Abend treffen sich Szene und Musik am entscheidenden Punkt: Sie nehmen das Stück ernst.
Die zweite Vorstellung am heutigen Donnerstag, 27. Februar, 20 Uhr, ist offiziell ausverkauft. Oft geht im Grand Théâtre aber noch was an der Tages- oder Abendkasse. Info: 00352/47963900.

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