"Das Publikum ist ja nicht blöd"

Saarbrücken · Dass der Krimiklassiker Tatort nicht zwangsläufig bierernst sein muss, beweisen Jan Josef Liefers und Axel Prahl seit zehn Jahren. Jetzt bekommt das Münsteraner Duo Konkurrenz aus Saarbrücken: Ab dem 27. Januar jagt Devid Striesow als clownesker Kommissar Jens Stellbrink gemeinsam mit Kollegin Lisa Marx (Elisabeth Brück) im Südwesten Verbrecher.

Saarbrücken. Devid Striesow (39) ist für Filmfans kein Unbekannter. Neben dem neuen Saarbrücker Tatort-Kommissar Jens Stellbrink verkörperte der gebürtige Rügener zahlreiche Rollen für Film und Fernsehen, darunter Christian Petzolds "Yella" oder Tom Tykwers "Drei". In Luxemburg stand Striesow vergangenen Oktober als Arzt Astrow in Anton Tschechows "Onkel Wanja" auf der Bühne. TV-Mitarbeiter Olaf Neumann quetschte ihn über seine neue Rolle aus.Herr Striesow, wie hat der kleine Saarländische Rundfunk (SR) Sie überzeugen können, einen Tatort-Kommissar zu spielen?Devid Striesow: Redakteur Christian Bauer hat mich einfach gefragt, ob ich darauf Lust hätte. Er hat mir glaubhaft versichert, dass man beim SR Möglichkeiten hätte, über das Format hinauszugehen und dort einen Film zu machen, wie man ihn gern machen möchte. Dass ich beim Drehen spontan sein und eigene Ideen mit einbringen könne. Sie sind Kriminalhauptkommissar Jens Stellbrink. Was ist das für einer?Striesow: Dieser Kommissar wurde erst entwickelt, als meine Zusage da war. Ich habe versucht, eine Figur zu fantasieren, die mir persönlich nahekommt, um nicht jedes Mal eine fremde Person spielen zu müssen. Auf Dauer wäre das nichts für mich. Deshalb macht mein Kommissar auch Yoga genau wie ich es privat tue. Er löst seine Fälle sehr intuitiv: Erst kommt der Bauch, dann der Kopf. Das ist als Schauspieler zwangsläufig so. Und dann fand ich es gut, dass er einen unkonventionellen Kleidungsstil pflegt. Irgendwann kam die Idee auf, ihn eine Vespa fahren zu lassen. Ich finde, das harmoniert mit dem Saarland. Finden Sie nicht, dass sich solch einen Kommissar - mit Friesennerz, Shorts, Gummistiefeln und Vespa gut auch Helge Schneider hätte ausdenken können?Striesow: Ja, finde ich gut. Sein Kleidungsstil in der Eröffnungssequenz ist natürlich situationsbedingt. Stellbrink muss an einem Samstag kurz vor Ladenschluss noch mal in den Baumarkt. In Saarbrücken steht er nicht ständig unter Beobachtung, dort kann er auch mal in Gummistiefeln in den Markt gehen. Das interessiert dort kein Schwein. Und dann passiert auch schon etwas, und er kommt erst mal aus diesen Klamotten nicht mehr raus. Tut mir leid. Aber auch seine spätere Kleidung ist alles andere als konventionell. Wie ernst nehmen Sie diese Figur?Striesow: Ich nehme sie sehr ernst. Das heißt aber nicht, dass ich die Realität eines Kommissariats abbilden will. Die kann man in einem fiktionalen Film gar nicht abbilden, man wird den Polizisten im wahren Leben nie gerecht. Ich habe gehört, dass die Gewerkschaft der Polizei sich über den Dortmunder Kommissar so aufgeregt hat, dass sie seine Absetzung fordert. Insofern bin ich froh, dass ich in Saarbrücken ein bisschen Spielraum habe. Warum verzichten Sie auf die Vorgeschichte des Kommissars?Striesow: Der Redakteur und der Koautor haben mir eine Figurenbibel gegeben. Sie enthält eine komplette Biografie bis hin zu Geschwistern. Ich hatte sie beim Drehen sogar in der Tasche und habe während der Pausen immer wieder reingeguckt. So was Tolles habe ich noch nicht erlebt. Spätestens da fiel mir auf, dass sich die Zusage wahnsinnig gelohnt hat. Immer wenn ein Tatort-Kommissar gegen die Regeln verstößt, schlägt es hohe Wellen. Können Sie das nachvollziehen?Striesow: Jeder will sich irgendwie dazu äußern, was der Tatort eigentlich ist und wie er auszusehen hat. Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Thema so viele beschäftigt. Ich hätte auch nicht für möglich gehalten, dass sich Interessengemeinschaften zum Tatort-Gucken in Kneipen treffen. Aber was will man mehr? Ich mache es ja für die Zuschauer und nicht für mich selbst. Kennen Sie sich mit der Tatort-Historie aus?Striesow: Ich gucke generell nicht so viel fern. Bei uns zu Hause bleibt der Fernseher in der Regel komplett aus. Ich war mit meiner Familie acht Wochen in Saarbrücken, weil wir zwei Folgen gleichzeitig gedreht haben. In unserer Wohnung dort hatten wir das Dilemma, dass der Fernseher nicht ging. Das hat meiner Frau so gut gefallen, dass sie gesagt hat: "Wenn wir wieder nach Hause kommen, bleibt bei uns der Fernseher aus!" Ich hatte nichts dagegen. Aber den letzten Münsteraner Tatort habe ich mir schon angeguckt, weil es mich interessiert. Guckt Ihre Frau denn wenigstens Ihre eigenen Filme?Striesow: Ja, das machen wir immer gemeinsam. Das ist dann auch ein kleiner Höhepunkt, weil es sich aus dem Allgemeingedudel abhebt. Seit neuestem interessiert es mich natürlich, wie die anderen Tatort-Drehbücher geschrieben sind und wie die Kommissare erzählt werden. Ich gehe da jetzt analytischer ran. Beim letzten Mal habe ich die Kinder ins Bett geschickt und um Viertel nach die Kiste angemacht, noch gekocht nebenbei und geguckt, was da jetzt abgeht. Sie drehen fürs Fernsehen, fürs Kino, machen Hörspiele und stehen im Theater auf der Bühne. Ist der Tatort für Sie überhaupt noch etwas Besonderes?Striesow: Ich finde, wenn man nicht den Anspruch hat, dass jedes Projekt etwas Besonderes ist, dann braucht man diesen Beruf auch nicht zu machen. Jeder Tag vor der Kamera muss ein besonderer Tag sein. Wenn es viele Drehtage sind, sind es eben viele besondere Tage. Wenn man diesen Beruf nicht wirklich ernst nimmt, sieht man das sofort. Das Publikum ist ja nicht blöd. oneu

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