"Deine Stadt, dein Theater, deine Künstler"

Trier · Die Katze ist aus dem Sack: Das Trierer Theater soll einen entscheidenden Sparbeitrag zur Sanierung des maroden städtischen Haushalts leisten. Wie das praktisch funktionieren kann, weiß im Moment aber niemand.

 Begegnungsort: Beim alljährlichen Theaterfest trifft sich das Publikum mit den Akteuren. Foto: Theater

Begegnungsort: Beim alljährlichen Theaterfest trifft sich das Publikum mit den Akteuren. Foto: Theater

Trier. "Sie machen das Theater kaputt", schrie der Intendant, sprang auf , schlug heftig die Tür zum Büro des Oberbürgermeisters zu und verschwand laut fluchend über den Flur im ersten Stock des Trierer Rathauses, um Protetstaktionen vorzubereiten.
Die verbürgte Szene fand im Jahr 2001 statt, der Intendant hieß Lukas-Kindermann, und er hatte gerade erfahren, dass er im kommenden Haushalt 100 000 Euro einsparen sollte.
Hätte sein Nachfolger Gerhard Weber ein ähnliches Temperament, im Rathaus stünde wohl kein Stein mehr auf dem anderen. Denn Weber soll, wie er am Mittwoch erfuhr, die zehnfache Summe aus dem Theater-Budget herausquetschen. Und im Folgejahr womöglich das gleiche. Da fällt selbst dem nicht unbedingt konfliktfreudigen Theater-Chef das Ruhigbleiben schwer.
Aber auch im Rathaus wetzt man nicht frohen Herzens die Spar-Messer. Die Stadt, mit 700 Millionen in der Kreide, will unter den Schutzschirm des Landes. Doch der Eigenbeitrag für den Beitritt zum Entschuldungsfonds sind fünf Millionen Euro reale Einsparungen im Haushalt 2012. Am ehesten sparen kann man bei freiwilligen Ausgaben wie Kultur. Und der mit Abstand dickste Posten in der Kultur ist das Theater. So kommt eins zum anderen.
Die Mitarbeiter des Theaters sehen die Sache, logischerweise, aus einem anderen Blickwinkel. Sie liefern engagierte, als erfolgreich anerkannte Arbeit ab. Und sie haben wenig Lust, wie in anderen Städten das kommunale Spar-Opfer zu werden.
Vor allem die Schauspieler, Sänger und Tänzer fühlen sich an die Wand gedrängt. Die meisten von ihnen haben Verträge, die Jahr für Jahr kündbar sind. In der Verwaltung, der Technik und im Orchestergraben sitzen ordentlich öffentlich Bedienstete, die sich um ihren Job wenig Sorgen machen müssen. Aber diejenigen, die auf der Bühne im Mittelpunkt stehen, sind im Ernstfall die Ersten, die dran glauben müssen.
So waren sie auch die Ersten, die sich gegen die Sparpläne wehrten. "Stimmen Sie mit Ihrem Namen für den Erhalt des Dreispartentheaters", beschwor die Tänzerin Juliane Hlawati letzte Woche die Besucher der West Side Story - und gab so den Startschuss für eine Internet-Petition "Gegen das Totsparen am Theater Trier", die via Facebook in kürzester Zeit 400 Unterstützer verzeichnen konnte.
Gerade die Tänzer sind, wo immer über Sparen geredet wird, akut gefährdet. Das Ballett als kleinste Sparte scheint den Kultur-Politikern am leichtesten verzichtbar, um Einspar-Ziele zu erreichen. Was sich häufig als. Milchmädchenrechnung erweist.
Denn die Tänzer gehören oft zu den Minimalverdienern, denen ihr Tarifvertrag eine Minimalgage von gerade mal 1600 Euro garantiert - brutto, versteht sich. Ein kleines Tanz-Ensemble wie Trier mit seinem Dutzend Mitgliedern kostet, wenn es hoch kommt, inklusive Leitung und Produktionsausstattung eine halbe Million Euro pro Jahr.
Bei zwei Produktionen mit 10 000 Besuchern spielt es aber auch 200 000 Euro ein - wahrscheinlich ist es die Sparte mit dem geringsten Zuschussbedarf. Rechnet man noch die dann einzukaufende "Dienstleistung" für Operette oder Musical hinzu, würde die komplette Abschaffung der Sparte unterm Strich noch kein Viertel der geforderten Sparsumme erbringen - das Theater aber einer ganzen Zuschauergruppe berauben.
Wo also sparen? Dezernent Egger und Intendant Weber sehen beide ein gewisses Potenzial im verstärkten Austausch von Produktionen mit den Nachbar-Theatern in Rheinland-Pfalz und der Großregion. Ein Feld, an dass sich so richtig bislang niemand rangetraut hat - schon gar nicht, wo es um strukturelle Zusammenarbeit oder Fusionen geht.
In der politischen Diskussion wird hinter vorgehaltener Hand auch immer mal wieder die Variante eines Gastspielhauses ohne eigenes Ensemble Marke Grand Théâtre Luxemburg diskutiert.
Aber da hält eine Theater-Institution wie Schauspieler Klaus-Michael Nix dagegen und verweist auf die Ausstrahlung der Theaterleute auf Uni und FH, Tufa und Musikvereine oder Schulen.
Und umgekehrt: auf etliche einheimische Künstler, die im Theater arbeiten. "Deine Stadt, dein Theater, deine Künstler", so umreißt er seine Vision, die mit durchreisenden Gast-Ensembles nicht zu realisieren wäre. Dass gespart werden muss, leuchtet auch Nix ein. Was ihn ärgert ist, "dass der Eindruck entsteht, bis jetzt hätten wir im Theater nicht gespart". Dabei sei Trier "das Drei-Sparten-Haus mit dem kleinsten Budget". Intendant Weber verweist auf die Streichung der Antikenfestspiele und der Festivals "Maximierung Mensch" und "Transfrontalier". Seine Meinung: "Wir haben schon einiges geopfert".Meinung

Kultur und Kohle
Trier ohne Theater, das wäre - ja, was wäre das eigentlich? Völlig undenkbar wäre das für jeden, der daran glaubt, dass Menschen zum Leben nicht nur Geld, Kleidung, eine Wohnung, Arbeit oder Freizeit brauchen, sondern auch Nahrung für Seele und Geist. Das ist die eine Seite. Die andere: Auch Kultur muss bezahlt werden. Und zwar größtenteils von denen, die sie nicht nutzen. Sie kann sich also nicht abkoppeln von ihrem Umfeld. Und wenn die Stadt, in der sie stattfindet, pleite ist, kann die Kultur nicht sagen: Das ist euer Problem, wir sind eh arm. Zwischen diesen beiden Polen muss in Trier nun diskutiert werden. Die Stadt muss entscheiden, was ihr das Theater wert ist - die Region drumherum übrigens auch. Und das Theater muss aufpassen, dass es nicht in eine Wagenburg-Mentalität gerät, die nur noch auf Bewahrung des Status quo ausgerichtet ist. Es geht um die Kunst, nicht um eine Institution als Selbstzweck. Dass jetzt enormer Zeitdruck herrscht, liegt am langen Wegschauen der Politik. Sie hat deshalb die Verantwortung, dem Theater realistische Zeitfenster für Entwicklungen zu öffnen. Sonst besteht die Gefahr, dass genau an den Stellen gespart wird, wo sich die Zukunftsfähigkeit des Hauses entscheidet. d.lintz@volksfreund.de

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