Der einsam an der Orgel tanzt

Trier · Es hätte das erste Orgel-Open-Air in Deutschland werden sollen, aber das Wetter machte einen Strich durch die Rechnung. So musste Cameron Carpenter, der Mann, der die Orgel aus der Kirche befreien will, ausgerechnet in die ehemalige Kirche St. Maximin ausweichen. Kurios. Ein Ausnahmekonzert gab es trotzdem.

 Der amerikanische Orgelspieler Cameron Carpenter beim Mosel Musikfestival. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Der amerikanische Orgelspieler Cameron Carpenter beim Mosel Musikfestival. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Trier. Schwer zu begreifen: 500 Besucher, ein halbvoller Saal, angesichts eines der derzeit angesagtesten Weltstars. Da mögen Zeit und FAZ seitenlange Elogen drucken, "Aspekte" und "Titel, Thesen, Temperamente" dem Jung-Genie Cameron Carpenter in allen Facetten huldigen: Das Trierer Publikum zeigt sich davon gänzlich unbeeindruckt. Einer mit bunten Schuhen, Glitzerklamotten und Digital-Orgel, das kann ja nix sein. Durch Abwesenheit glänzt auch die nun wahrlich nicht kleine Szene der Trierer Groß-Organisten - von wenigen löblichen Ausnahmen abgesehen.
Selber schuld. Denn was geboten wird, ist eine Virtuosität, die von einem anderen Stern zu kommen scheint. Carpenter tanzt über Manuale und Pedale, mit einer stupenden Technik und einer umwerfenden Präsenz. Seine Kunst entsteht aus dem Moment heraus, pausenlos feilt er während des Spiels an Feinheiten des Klangs - und zieht dabei buchstäblich alle Register. Die ersten zwei Minuten des Konzerts bestreitet er allein mit den Füßen, mit atemberaubendem Tempo und einem hochpräzisen Hand-(in diesem Fall wohl eher: Fuß-)werk. Die erste Überraschung: Es gibt nicht einen Hauch von Show jenseits der Musik. Abgesehen vom Swarowski-Glitter auf dem schwarzen Gewand und der Frisur, einem Mix aus Mooshammer und Irokese, ist da ein seriöser, eher schüchterner junger Mann bei einer peniblen Arbeit zu sehen, die er mit fast heiligem Ernst betreibt. Zwei Kameras übertragen sein Wirken auf eine Großbildleinwand.
Aber zu sehen ist nicht etwa ein entrücktes oder ekstatisches Gesicht, sondern Hände und Füße in pausenloser Bewegung. Carpenters Art zu musizieren hat mit dem plakativen Show-Crossover etwa eines David Garrett so viel zu tun wie Glenn Gould mit Richard Clayderman. Das gilt auch für das Repertoire. Von wegen Schmankerl Marke "Play Bach". Carpenter glättet nicht, er rauht auf. Und er macht dabei keinen Unterschied zwischen Klassik und Pop. "Ich spiele jetzt drei Lieder von Schumann, Leonard Cohen und Schubert", sagt er. So einfach ist das. Wo die Lordsiegelbewahrer das Fähnlein der edlen Klassik hochhalten, vereinigt der 31-jährige Amerikaner Schumanns "Er, der herrlichste von allen", Cohens "Suzanne" und Schuberts "Erlkönig" (in einer grandiosen Version) da, wo sie stehen: auf Augenhöhe. An seinem Bach, der den umfangreichsten Teil des Programms einnimmt, werden sich immer die Geister scheiden.
Auf höchstem Niveau


Wer den Leipziger Meister als Säulenheiligen begreift, wird keine Freude daran haben, dass da jemand den Mut hat, ihn nicht auf eine möglichst präzise auszuführende musikalische Arithmetik zu reduzieren, sondern ihn - ganz im Sinn des Wortes - zu spielen. Und zwar nicht aus Jux und Dollerei, sondern in einer sehr soliden und auf höchstem Niveau dargebotenen Auseinandersetzung. Manchmal sicher eine Spur zu hyperaktiv, dann aber wieder mit der Bedachtheit eines Schachspielers, der gründlich überlegt, mit welchem Zug er das Ziel erreicht. Dass er Bach auch konventionell beherrscht, dass ihm der Revoluzzer Liszt nahesteht, dass man über "Hey Jude" so gut improvisieren kann wie über Purcell: Das alles beweist Cameron Carpenter, bevor er sich mit einer furios durch die Mangel gedrehten Version von Mozarts "Alla turca" verabschiedet. Standing Ovations.

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