Die Liebe in Zeiten des Fußballs

Trier · Mit der Premiere von George Bizets Oper "Carmen" beginnt das Theater Trier seine Spielzeit. Sebastian Welkers Inszenierung schafft, was Kunst leisten sollte. Zur Pause und im Anschluss gab es heftige Diskussionen bei den Premierengästen.

Trier. Die Schurken sitzen diesmal nicht in einer Kneipe am "Wall von Sevilla", sondern in einer Disco am Rande des Fußballstadions von "Toreador Granada". Statt zu schmuggeln machen sie in Sportwetten, trinken Champagner und bringen ihren "Mädels" nuttige Klamotten mit. Derzeit haben sie ein Ding mit dem Schiedsrichter laufen, der Spielschulden hat und deshalb bestechlich ist. Den Rest der Geschichte kennen wir aus dem richtigen Leben.Aus Sevilla hat Sebastian Welker seine "Carmen" in die andalusische Metropole verlegt. Statt Stierkampf ist Fußball angesagt. Weshalb Matador Escamillo als Mittelstürmer nicht mit der gehörnten Bestie, sondern dem runden Leder kämpft. Keine Spur von Zigeunerromantik

Und auch der verliebte José ist kein Sergeant und gesetzlicher Vertreter der Ordnungsmacht, wie in der ursprünglichen Fassung, sondern als Security Mann bestenfalls ein Ordnungshüter. Einzig Carmen bleibt die Arbeiterin aus der Zigarettenfabrik, deren Besitzer in diesem Fall der Hauptsponsor des Vereins ist. Mit Zigeunerromantik hat sie allerdings nichts am Hut. Die taugt höchstens noch fürs Lied. Welkers "Carmen" ist, wie der Berliner Regisseur angekündigt hatte, in der Gegenwart angekommen, und das ausgesprochen flott. Selten ging eine Carmen-Inszenierung so zügig über die von Julia Przedmojska als Fußballstadion eingerichtete Bühne wie hier in Trier. Das liegt auch daran, dass Welker das bisweilen recht langatmige Libretto gestrafft und sich auf den ursprünglichen Rhythmus der "Komischen Oper" besonnen hat. Soll heißen die Gesangsnummern wechseln sich mit gesprochenen Rezitativen ab. Überhaupt setzt der Berliner auf Tempo, buntes Volk und Massenaufmarsch, angereichert mit einem guten Teil deftiger Komik. Die vergrößert aber in diesem Fall nicht die Fallhöhe des Absturzes in die Tragödie, sondern sie banalisiert, was menschlich hochtragisch ist. Überhaupt hat die ganze Inszenierung eher etwas von Romanze zur besten Sendezeit als von jenem raffinierten, unentrinnbaren psychologischen Netzwerk, das Bizet knüpft. Welkers Spanierin ist eine junge Frau in Hotpants (Kostüme Claudia Caséra), Typ Girlie, die weiß und macht, was sie will. Auch wenn sie\'s singt: Dem blonden weiblichen Fußballfan, der Bälle statt Rosen wirft, glaubt man nur schwer, dass er in heißer Liebe entbrennt oder komplizierte, tödliche Katz- und Mausspiele mit Männern macht. Der Typ ist schlicht verliebt, und wenn es aus ist, schickt er eine SMS. Auch Josés tiefer Fall ist kaum verständlich. Zwar hat sich der gutbürgerliche Mann, den die unkonventionelle Carmen fasziniert, mit seinem Chef, dem Frauenhelden Zuniga (Pawel Czekala), angelegt und ist in schlechte Gesellschaft geraten. Mit deren dunklen Wettgeschäften hat er allerdings nichts zu tun. Wenn er am Ende Carmen brutal zusammentritt und seine blutigen Hände zeigt, ist das simples Melodram. Da ist nichts mehr zu retten, auch wenn ständig Sanitäter herumlaufen. Überhaupt neigt Welkers Inszenierung zur Harmlosigkeit. Das zeigt sich auch darin, dass sie gleich alle Probleme dieser Welt auf einmal schultert. Carmens vermeintlich Neuer, Fußballstar Escamillo, ist schwul, Carmen ist als Kind missbraucht worden. Von Zigeunerfolklore hat Welker zwar seine Carmen befreit, dafür aber beim Fußball- Kunstgewerbe kräftig zugelangt. Da ist alles vorhanden von der Großleinwand über die Fan-Klamotten bis zum Dixie-Klo. Grüner Rasen und Morgennebel für die Verliebten selbstredend auch. Neben einer Trierer Conchita Wurst geistert zwischen alledem ein knuddeliger Stier herum. Der taugt zur Sinngebung jeder Art: Maskottchen, Machosymbol, Todesbote und natürlich Spanien: olé. Zum Glück weiß die Musik mehr. Kristina Stanek ist mit ihrem Mezzosopran eine vielfarbige, in Maßen dynamische Carmen, deren junge Stimme angesichts der mörderischen Partie Gewaltiges leistet. Carlos Aguirres schlanker Tenor singt weithin einen harten José, der allerdings in der zweiten Hälfte hörbar an Geschmeidigkeit gewinnt. Warm und voll: Amadeu Tascas Bariton in der Partie des Escamillo. Treusorgende Jugendliebe

Joana Caspar rührt als Josés treusorgende Jugendliebe Michaela. Überzeugend als Carmens Freundinnen Mercedes und Frasquita: Silvie Offenbeck und Evelyn Czesla. Bestens aufgelegt sind Opern- und Extrachor des Theaters sowie der Mädchenchor vom Trierer Dom. Hervorragend aufgestellt ist das Philharmonische Orchester der Stadt Trier. Wunderbar geschmeidig setzen Victor Puhl und seine Musiker das Drama in Klang um, deuten empfindsam die Musik aus und fassen in Tonsprache, was die Bilder oben auf der Bühne verstellen. Das Publikum im ausverkauften Haus nimmt\'s zwiespältig: In den stürmischen Beifall mischten sich unüberhörbar jede Menge Buhrufe.Die nächsten Aufführungen: 20. und 23. September, 3., 10. und 12. Oktober, Karten: 0651/718-1818. theater-trier.de

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