Die Triererin Susanne Link spricht über ihre Zeit in der Buchpreis-Jury

Trier/Frankfurt · Lutz Seiler hat für seinen Roman "Kruso" den Deutschen Buchpreis verliehen bekommen. Mit in der siebenköpfigen Jury saß Susanne Link, Filialleiterin der Stephanus Universitätsbuchhandlung in Trier-Tarforst.

Trier/Frankfurt. Aus 176 Büchern wählten die Juroren für den Deutschen Buchpreis zunächst 20 Titel aus, daraus wiederum die sechs heißesten Anwärter für die sogenannte Shortlist - und kürten schließlich "Kruso" zum besten Roman. Mit TV-Mitarbeiterin Ariane Arndt-Jakobs hat die Trierer Buchhändlerin Susanne Link über das Prozedere und über die Kritik gesprochen, die die Jury für ihre Entscheidung einstecken musste.

Wieso ist "Kruso", der erste Roman des Lyrikers Lutz Seiler, das beste Buch des Jahres?
Susanne Link: Die poetische Sprache, das Sinnliche und Magische - der Roman ist einfach wunderschön. Inhalt und Relevanz waren für uns wichtige Kriterien. "Kruso" kann man unter verschiedenen Aspekten lesen. Der Roman spielt im Sommer 1989 auf der Insel Hiddensee, wo junge DDR-Aussteiger aufeinandertreffen. Es geht also um deutsch-deutsche Geschichte, die uns gerade im 25. Jahr des Mauerfalls bewegt. Es geht um Freiheit. Um die äußere Freiheit, die offenen Grenzen der DDR, aber auch um das Finden der inneren Freiheit - unabhängig davon, ob die Grenzen geöffnet sind. Und Freiheit ist immer ein relevanter Aspekt.

Was bedeutet der Preis für den Autor?
Link: Das wird ein ganz anstrengendes Jahr für Lutz Seiler. Er wird viel unterwegs sein. Das fing am Abend der Preisverleihung bereits an. Ich glaube, er hat fast zwei Stunden lang Interviews gegeben.

Fünf weitere Autoren standen auf der Shortlist. Profitieren deren Romane von der Nominierung?
Link: Die fünf schon. Die weiteren 14 Titel auf der Longlist normalerweise eher weniger. Allerdings haben die in diesem Jahr mehr Aufmerksamkeit bekommen als sonst. Die Longlist hat in den Feuilletons ja für viel Aufsehen gesorgt.

Bereits in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Kritik am Buchpreis ...
Link: ... wir haben - glaube ich - die meiste Kritik abbekommen, die es in den zehn Jahren des Preises je gab.

Wie ist die Jury damit umgegangen?
Link: Als wir in der Longlist-Sitzung saßen und unsere 20 Autoren und Romane gefunden hatten, war uns klar, dass es Punkte zu kritisieren gibt. Dass wir beispielsweise nur fünf Frauen ausgesucht hatten. Aber ich persönlich lese selten nach Geschlecht. Ich mag Bücher von Frauen und Männern. Ich mag Geschichten über Frauen und solche über Männer.
Auch am Ende der Shortlist-Sitzung haben wir gedacht, die Entscheidung könnte uns um die Ohren gehauen werden. Wir haben mit der Kritik gerechnet, dass keine kleinen Verlage auftauchen, stattdessen zweimal Suhrkamp und zweimal Kiepenheuer & Witsch. Oder der Kritik, dass drei Bücher bereits im Frühjahr erschienen sind. Aber wir haben nicht nach Kriterien wie Veröffentlichungsdatum oder Verlag gelesen und entschieden, sondern uns ausschließlich um Inhalt und Relevanz gekümmert. Der beste Roman hat den Preis verdient. Und der hat ihn auch bekommen. Das Gute an diesen Schlägen gegen die Jury ist: Man spricht über den Buchpreis. Dass wir dafür unseren Kopf hinhalten, ist okay.

Wie war die Zusammenarbeit innerhalb der Jury?
Link: Wir standen vier Monate lang ständig in Kontakt und haben immer auf den 6. Oktober, den Tag der Preisverleihung, hingearbeitet. Wir waren eine tolle Runde und hatten eine gute Zeit.

176 Bücher sind in diesem Jahr von Verlagen eingereicht worden. Wie viele haben Sie davon gelesen?
Link: Ich gehe davon aus, dass jeder mehr als 100 gelesen und alle gesichtet hat. Jeder hatte jedes Buch in den Händen und hat es sich angeschaut, hat zwei, zehn oder 50 Seiten gelesen. Es gibt Bücher, bei denen weiß man nach der ersten Seite, dass sie nicht der beste Roman des Jahres sein können. Dafür sind wir ja ausgewählt worden. Wir sind schließlich keine Novizen, sondern Profis.

Legen Sie jetzt eine Lesepause ein?
Link: Wenn ich demnächst in den Urlaub fahre, nehme ich nur ein Buch mit, das ich schon lange lesen will. Es ist "Alles Licht, das wir nicht sehen" von Anthony Doerr und spielt 1944 in Saint-Malo. Darauf freue ich mich. arn
Extra

Neben Lutz Seilers "Kruso" (Suhrkamp, 22,95 Euro) empfiehlt Susanne Link folgende Romane, die auch für den Deutschen Buchpreis eingereicht wurden: "In Simone Lapperts ,Wurfschatten\\' geht es um eine junge Frau, die viele Ängste hat. Sie ist Schauspielerin, hat kein Einkommen und ist unfähig, mit anderen Menschen zu kommunizieren. In ihrer Wohnung hat sie sich ein Therapiezimmer eingerichtet - samt Therapietapete. Zu jedem Buchstaben gibt es eine Angst: von A wie Atombombe bis Z wie Zyste. Das Buch habe ich in einem Rutsch gelesen. Leider ist es nicht auf die Longlist gekommen. Aber Buch und Autorin werden ihren Weg finden." (Metrolit Verlag, 20 Euro) "Thomas Hettches ,Pfaueninsel\\' ist ein tolles Buch - verrückt und faszinierend. Es ist eine Führung durch das wunderbare 19. Jahrhundert, gesehen durch die Augen der kleinwüchsigen Marie, die ihr ganzes Leben auf der Pfaueninsel verbringt, dem Rückzugsort der Preußenkönige, deren heimliche Herrscherin sie ist. Alles, was Hettche erzählt, seien es historische Exkurse oder essayistische Einwürfe, ist lehrreich, aber nie belehrend." (Kiepenheuer & Witsch, 19,99 Euro) "Suizid ist ein sehr berührendes Thema, für das man nur schwer eine Sprache findet. Lukas Bärfuss gelingt das in seinem Roman ,Koala\\', in dem er sich mit dem Suizid seines Bruders auseinandersetzt. Was er dabei erfährt, macht jene, die zurückbleiben, vielleicht nicht zufriedener, glücklicher oder gelöster. Aber es kann ein bisschen Frieden geben. Sehr beeindruckend." (Wallstein Verlag, 19,90 Euro) arnExtra

Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet die Stiftung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels seit 2005 den besten deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Zur zehnten Auflage des Preises hatten 101 Verlage 176 Romane eingereicht. Der Preisträger erhält 25 000 Euro. arn

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