Harmonien aus einer anderen Welt

Trier · Chanticleer ist ein Vokalensemble, das seit über 30 Jahren zur Weltspitze gehört. Ein Ensemble, das über männliche Soprane verfügt, die so überirdisch schön singen, dass den Zuschauern Tränen kommen. In der Paulinkirche in Trier haben sie ihr Publikum zu Begeistungsstürmen hingerissen.

 Das amerikanische Vokalensemble Chanticleer singt in der Kirche St. Paulin über die Liebe. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Das amerikanische Vokalensemble Chanticleer singt in der Kirche St. Paulin über die Liebe. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Trier. Die zwölf Männer kommen aus San Francisco und sind schon zum dritten Mal beim Mosel Musikfestival zu Gast. In Trier sangen sie vor fast ausverkauftem Haus, und am Ende gab es so viel Applaus, dass die Zuhörer, die ihrer Begeisterung durch Bravorufe und laute Pfiffe Luft machten, dem Ensemble (Leitung: Matthew Oltman) drei Zugaben abrangen. Die Amerikaner wurden ihrem Ruf, ein vokales Orchester zu sein, in vollem Umfang gerecht.
Sie haben ihren eigenen Sound, der zwar manchmal - insbesondere wenn man vergleichbare Ensembles etwa aus Skandinavien im Ohr hat - ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, aber das ist ihre Visitenkarte. Bisweilen mag man sich einen etwas kräftigeren Bass wünschen und auch etwas irritiert sein, wenn der Sopran (drei Männerstimmen) ein starkes Vibrato hat.
Liebe war das Thema, mit dem dieses Urgestein des A-cappella-Gesangs nach Trier gekommen war und ein Programm mit Musik von der doppelchörigen Renaissance bis zur Gegenwart, inklusive Gospel, kredenzte. Grundlage war das alttestamentliche "Hohe Lied der Liebe", jener Text, der allumfassend die Liebe Gottes zu den Menschen wie auch die Liebe zwischen den Menschen in allen Perspektiven beschreibt. Ein achtsamer Umgang mit dieser sensiblen Facette des Lebens beschreibt vielleicht am besten den Charakter sowohl der Werke als auch der Interpretation, die den Abend prägten. Geradezu genial war die Gegenüberstellung von Maurice Duruflés "Ubi caritas" mit Eric Whitacres "This Marriage", also einem Gesang auf die Liebe Jesu zu den Menschen mit einem Segensgesang auf eine Ehe, der trotz seiner Schlichtheit alle Facetten, die man dem Bund zweier Menschen wünschen kann, beinhaltete.
Einen einsamen Höhepunkt stellte Jan Sandströms "The Word Became Flesh" dar, in dem sich der Komponist mit den ersten Zeilen des Johannesevangeliums beschäftigt. Hier kamen zwei Aspekte zusammen, die aus dieser Motette eine Sternstunde machten. Sandström verwendet Dissonanzen, um das Chaos der Menschen zu beschreiben, die manch anderer Komponist noch nicht einmal zu denken wagt. Chanticleer stellte sich dieser Anforderung in einer Perfektion, für die es keine Worte gibt. Emotion pur - ein reiner und sauberer Schlussakkord bekräftigte, dass das Wort unter den Menschen angekommen ist. Harmonien aus einer anderen Welt durfte man hier erleben. Das Konzert war nicht nur ein Geschenk des Mosel Musikfestivals an sein Publikum - die Tatsache, dass Chanticleer auf seiner Europatournee in Trier Station machte, zeigt, welche Bedeutung das Festival im internationalen Konzertbetrieb einnimmt. gkl

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