"Ich bin von Melodien gesegnet"

Bitburg · Erfolg hatte er nicht immer, eine Botschaft immer. An Flügel und Mikrofon singt er seit 40 Jahren gegen die Machtverhältnisse in der Welt an, ist eine Konstante in der Musikszene. Am Sonntag, 13. Februar, gastiert Konstantin Wecker mit Jo Barnikel in der Bitburger Stadthalle.

(mehi) Er ist Poet, Komponist, Sänger, Schauspieler, Autor - ein Spinner, ein Spötter, ein Utopist - und seit mehr als 40 Jahren auf den Bühnen der Republik zu Hause. Nun kommt Konstantin Wecker am Sonntag, 13. Februar, 20 Uhr, in die Stadthalle Bitburg. Mit unserer Mitarbeiterin Mechthild Schneiders spricht der 63-Jährige über seine Beweg- und Hintergründe.

Sie singen seit Jahrzehnten für mehr Menschlichkeit. Wird man das nicht müde?

Konstantin Wecker: Wenn ich angetreten wäre mit dem Gedanken, dass ich mit meinen Liedern die politischen Verhältnisse ändern könnte, dann hätte ich mir wahrscheinlich schon die Kugel gegeben. Aber ich habe als Sänger die Möglichkeit, Mut zu machen und etwas auszusprechen, was tief in einem rumort. Die Zuhörer sehen, da gibt es jemanden, der drückt das aus, was ich denke. Ich wollte nie, dass man nach meinen Konzerten rausrennt und eine Partei gründet oder die Häuser anzündet. Das war nie der Sinn meiner Lieder.

Aber Sie sind dennoch der Meinung, dass sich politisch etwas ändern müsste?

Wecker: Ich bin im Herzen immer noch Anarchist. Ich traue dem Menschen zu, dass er ohne Herrschaftsverhältnis auskommt miteinander. Das ist eine Utopie, das ist mir schon klar. Und ich möchte sie auch nicht von heute auf morgen umgesetzt wissen. Das wäre eine ziemliche Katastrophe. Ich glaube daran, dass wir ein völlig neues Wirtschaftssystem brauchen und das bekommen werden. Wir brauchen eine Gemeinwohlökonomie, die verhindert, dass es weiterhin Menschen geben kann, die so ungeheuer reich sind, dass sie die ganze Welt bestimmen können. Ich werde es nicht mehr erleben, aber ich glaube daran, dass ein gerechteres Zusammenleben der Menschen möglich sein wird.

Sie sind bei Demonstrationen gegen Stuttgart 21 aufgetreten. Wie finden Sie es, dass die Gegner noch immer auf die Straße gehen?

Wecker: Das ist ganz wichtig. Denn diese Schlichtung war - wie der Name schon sagt - sehr schlicht. Das war von Anfang an eine Farce. Was diese Leute bewegt, ist ja mehr als nur dieser Bahnhof. Es ist die seit Jahrzehnten dauernde Verfilzung von Politik und Wirtschaft, die immer stillschweigend hingenommen wurde. Ich glaube, das wird weitergehen.

Wie sehen Sie sich in dieser Entwicklung?

Wecker: Im Moment hilft mir die desolate politische Situation ein bisschen. Weil sich viele Leute sagen: Mensch, der Wecker hat ja doch recht mit dem, was er erzählt. In den 90ern war es schwerer. Da ist jeder, der sich engagiert hat, als Gutmensch desavouiert worden. Wer sich für den Frieden engagierte, wurde ausgelacht. Das Lächerlichmachen ist heute die Waffe der Mächtigen. Nun wendet sich das Blatt - da sind wir wieder bei Stuttgart 21. Da haben viel mehr Leute weniger Angst, sich lächerlich zu machen.

Man kennt Sie als mahnende, mutige Stimme. Haben Sie manchmal Angst?

Wecker: Ich habe Angst. Immer, wenn ich mich gegen Nazis engagiere, bitte ich meine Leute im Büro, mir ja nicht zuzuschicken, welche Drohungen an mich im Internet auf den Naziseiten stehen. Ich möchte das nicht lesen. Manchmal kann ich nur nicht anders, und dann bricht es aus mir heraus. Mir macht auch Angst, dass ich meine Gesundheit nicht erhalten kann. Also die Ängste, die fast jeder hat.

Was unterscheidet den Konstantin Wecker von heute von dem vor 30, 40 Jahren?

Wecker: Die Antriebskraft und die Energie mich äußern zu wollen, ist die gleiche, wenn nicht sogar stärker. Und ich habe durch die vielen Erfahrungen mehr von mir kennengelernt. Ich glaube, es ist das Ziel des Lebens, dass man sich immer mehr entdecken, immer mehr aufdecken kann von diesen selbstgefälligen Selbstlügen, mit denen man sich so gerne zudeckt. Die aber manchmal notwendig sind, sonst könnte man nicht überleben. Aber sich kennenzulernen, wie in diesem wunderschönen Peer Gynt (Werk von Hendrik Ibsen, Anmerk. der Redaktion), wo er am Schluss Zwiebeln schält und Schale und Schale abreißt und feststellt, dass gar kein Kern drin ist. Natürlich gibt es einen Kern. Aber dieser Kern ist nicht dieses "ich", das wir von uns glauben. Dieser Kern ist etwas anderes. Etwas, das mit allem verbunden ist. Ab und zu spürt man es in schönen Glücksmomenten und manchmal dann wieder gar nicht. Da klammert man sich wieder an ein "ich". Wenn man in sich hineinschaut, wie ich das als Lyriker tun muss - die Lyrik ist ja eine Innenschau, immer - dann entdeckt man, dass man schon viele "ichs" in seinem Leben gehabt hat.

Was ist bei Ihnen zuerst da, der Text oder die Musik?

Wecker: Ich habe immer meine Texte vertont. Es wäre undenkbar, zuerst die Musik zu haben. Auch jetzt, als ich in der Toskana an meiner neuen CD gearbeitet habe, war ich erst glücklich, als ich meine zwölf, 13 Texte hatte. Die Musik fällt mir immer ein. Das ist ein großes Geschenk, dass ich irgendwie von Melodien gesegnet bin. Ich hatte nie ein Problem damit, etwas zu vertonen. Bei Texten muss ich warten, bis sich etwas in mir selbst geschrieben hat und raus will.

Hat die CD schon einen Titel?

Wecker: Meine neue CD werde ich wahrscheinlich "Wut und Zärtlichkeit" nennen. Das ist der Spagat, in dem ich mich im Moment bewege. Weil ich eine kräftige Wut habe auf das, was zurzeit geschieht. Und weil ich glaube, dass die Zärtlichkeit wichtig ist.

Werden wir in Bitburg neue Stücke hören?

Wecker: Ein, zwei Lieder werde ich sicher spielen. Die CD kommt im September raus und wir haben noch nichts aufgenommen. Jetzt können wir mit Publikum erproben, was ich geschrieben habe. Das hat man früher immer so gemacht. Heute musste man eine CD machen und dann auf Tour gehen. Jetzt bin ich in der guten Situation und kann mir noch bis zum Sommer die Lieder live schon draufschaffen. Das erleichtert die Arbeit im Studio sehr.

Sind auch Klassiker im Repertoire?

Wecker: Das Ganze ist ein Querschnitt durch die letzten 40 Jahre. Und das Programm wird bestimmt sein von dem musikalischen Zusammenspiel mit meinem Partner Jo Barnikel, mit dem ich jetzt seit mehr als 16 Jahren zusammen bin. Wir haben so ein blindes musikalisches Verständnis, das ist eine wahre Freude.

Sie touren zudem mit dem Spring-String-Quartett und Hannes Wader. Gehen Sie auch noch alleine auf Tour?

Wecker: Nee, solo mache ich ganz selten, weil ich mich jetzt sehr an Jo gewöhnt habe. Jo begleitet mich, wenn ich mich vom Klavier löse und nach vorne gehe. Das mache ich ganz gerne, da habe ich noch einen engeren Kontakt zum Publikum.

Sie haben einmal gesagt: "Meine Seele ist an der Isar zu Hause." Welche Bedeutung hat Heimat für Sie?

Wecker: Ich habe einen Fernsehfilm mit Jo Baier gemacht, in dem wir über Heimat gesprochen haben. Da wurde mir Einiges bewusst über den Begriff. Für meine Generation ist das Wort ein Tabu. Es ist belastet durch Nazis und Heimattümmelei, durch vaterländisches Getue. Seit ich begonnen habe, das zu trennen, kann ich mit Heimat sehr viel anfangen. Heimat hat für mich mit Sprache, auch Dialekt, mit Kindheit zu tun, auch mit der Gegend, wo man aufgewachsen ist. Und es hat natürlich auch mit dem zu tun, was in einem selbst ist, wo man sich selbst begegnet. Das kann man überall hin mitnehmen.

Apropos Film. Sehen wir Sie demnächst wieder im Kino?

Wecker: Im Sommer kommt der Kinofilm "Wunderkinder" heraus, in dem ich einen SS-Mann spiele. Das war eine ganz gruselige Sache, als ich das erste Mal in eine SS-Uniform schlüpften musste. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe es an mir gemerkt, dass mit mir eine Veränderung durch diese Uniform passiert ist, wie ich anders ging, mich anders verhalten habe. Da war ganz schön Reinigungsarbeit jeden Abend nötig, nachdem ich die abgelegt habe.

Sie sind Liedermacher, Komponist, Schauspieler, Autor. In welcher Rolle dürfen wir Sie künftig erwarten? Vielleicht in der des Politikers?

Wecker: Nein, dazu bin ich völlig ungeeignet, weil ich kein Parteigänger bin, von welcher Partei auch immer. Nein, ich bleibe Poet. Ob da vielleicht noch etwas ganz anderes dazukommt - wer weiß? Wäre ja ganz schön, wenn im Alter noch neue Möglichkeiten, sich auszudrücken, auf einen warten. Also, da wäre ich für alles offen.

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